eepferdchen  Wegen seiner Jugend hatte man ihn in eine Fürsorgeanstalt in Vennes über Lausanne gesteckt, und dort hatte er unter den Berufen, die man ihm zu lernen vorschlug, den des Kupferschmieds gewählt. Ein Jahr lang war er geradezu ein Musterzögling gewesen, ruhig und fleißig, der nie gegen eine Vorschrift verstieß. Dann war er plötzlich spurlos verschwunden, und es sollten zehn Jahre verstreichen, bis Maigret ihn in Paris aufstöberte.

Nachdem er die Schweiz verlassen hatte, in die er nie wieder zurückkehrte, war er Fremdenlegionär geworden, fünf Jahre in Sidi-Bel-Abbès und in Indochina.

Der Kommissar hatte einen Einblick in seine Militärakten nehmen und sich mit einem seiner Vorgesetzten unterhalten können.

Auch in der Legion hatte Honoré Cuendet sich musterhaft geführt. Man warf ihm höchstens vor, daß er ein Einzelgänger war, keinen Freund hatte und nie mit den anderen ausging.

»Er war Soldat, wie andere Monteure oder Schuhmacher sind«, sagte sein Leutnant.

Keine Strafe in drei Jahren. Dann war er, ohne daß man wußte, warum, desertiert, und ein paar Tage später hatte man ihn in einer Werkstatt in Algier aufgefunden, wo er sich verdingt hatte.

Er gab keine Erklärung für sein plötzliches Verschwinden, das ihm teuer zu stehen kommen konnte, sondern murmelte nur:

»Ich hielt es nicht mehr aus.«

»Warum?«

»Ich weiß es nicht.«

Weil ersieh drei Jahre lang tadellos geführt hatte, ließ man Nachsicht walten, aber sechs Monate später riß er wieder aus und wurde diesmal schon, nachdem er nur vierundzwanzig Stunden in Freiheit gewesen war, in einem Gemüsewagen entdeckt, in dem er sich versteckt hatte.

Während seiner Legionärszeit hatte man ihm einen Fisch in den linken Arm tätowiert, und Maigret hatte versucht, den Grund dafür zu erfahren.

»Warum einen Fisch?« hatte er immer wieder gefragt. »Und warum gerade ein Seepferdchen?«

Die Legionäre lieben gewöhnlich andere Bilder.

Es war ein Mann von sechsundzwanzig Jahren, den Maigret damals vor sich hatte. Er hatte rotblondes Haar, breite Schultern und eine ziemlich schmale Taille.

»Haben Sie schon einmal Seepferdchen gesehen?«

»Lebende nicht.«

»Und tote?«

»Ja, eins.«

»Wo?«

»In Lausanne.«

»Bei wem?«

»Im Zimmer einer Frau.«

Man mußte ihm fast die Worte nacheinander entreißen.

»Was für einer Frau?«

»Einer Frau, zu der ich gegangen bin.«

»Bevor Sie in Vennes eingesperrt wurden?«

»Ja.«

»Haben Sie sie angesprochen?«

»Ja.«

»Auf der Straße?«

»Ja, am Ende der Rue Centrale.«

»Und in ihrem Zimmer war ein getrocknetes Seepferdchen?«

»Ja. Sie hat mir gesagt, es sei ihr Glücksbringer.«

»Haben Sie viele andere Frauen gekannt?«

»Nicht viele.« - Georges Simenon, Maigret und der faule Dieb. München 1977 (Heyne Simenon-Kriminalromane 61, zuerst 1961)

 

Pferd

 

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