Seele, neugierige  Während der Totengräber den ganzen, am Rande der Grube aufgetürmten guten Norfolk-Lehm, der für das Wachstum von Rosen so günstig ist - dabei sei bemerkt, daß einige Regenwürmer und einige quirlige rote Würmchen, die für die Wissey-Barsche so unwiderstehlich sind, mit dem Lehm in der Grube verschwanden -, faul und behäbig ins Grab, auf den erdbedeckten Sarg schaufelte, schwebten in buntem Wechsel traumgleiche Gedanken um den Körper im Sarg. Diese Gedanken enthielten weder Abscheu noch körperlichen Widerwillen gegen das Beerdigtwerden, sondern eine sanfte, gelassene Neugier, ob dieser traumgleiche Zustand das Ende von allem oder der Anfang von etwas anderem war. Die Fibern des Geniessens, die Fibern des Leidens waren jeweils schon abgestorben in diesem kalten, widerlich süß stinkenden Leichnam; doch um ihn herum war die Seele des Mannes, die aus dem Äther, der gleichermaßen Lehm, Planken, Graswurzeln und die kühle Luft durchdrang, einen diffusen »Körper« für sich bildete, bedrängt von wirren Erinnerungen und tief darunter von den vagen Regungen einer leidenschaftslosen, neutralen Neugier.

William Crow stand in seinem einundneunzigstenjahr, doch er hatte nie, seitdem sein Sohn Philip in dessen zwanzigstem Jahr weggelaufen war und eine unbekannte Frau geheiratet hatte, eine so starke Neugier verspürt.

Auf und ab, auf und ab fluteten diese Erinnerungen. Vor und zurück fluteten, strömten, strudelten sie. Und beständig regte sich tief darunter bebend die Wurzel der Neugier wie ein im An-und Abschwellen der Gezeiten trage schwankender Seetang.

Die Lider des alten, toten Gesichts unter dem Sargdeckel waren fest geschlossen, und der Mund, dieser wortgewandte Schauspielermund, stand leicht offen; was jedoch völlig unverändert blieb, war das schöne, schneeweiße Haar, das den runden Schädel auf jeder Seite mit Locken so seidig wie bei einem Kind bedeckte.

Die Erinnerungen dieses todeskaltcn Schädels wurden die ganze Zeit vom Bild seiner langvcrstorbenen Gattin angezogen. Keine Gefühlsregung erweckten sie, nicht ein einziges erzitterndes Flackern von Liebe oder Hass; lediglich jeder einzelnen Erinnerung wandte diese ruhige Neugier ihren gleichmütigen Blick zu.

»Ein durch und durch gemeiner Mensch... ja, das bist du, William, ein durch und durch gemeiner und grausamer Mensch! Dieser traurige Blick in deinen Augen, von dem du immer sagst, er sei Empfindsamkeit, ist tatsächlich Grausamkeit! Das ist es. Reine kaltblütige, gehässige Grausamkeit... und noch dazu sinnlich, oh, so unverschämt, unverschämt sinnlich!«

Mit der vollkommenen Ruhe eines Botanikers, der eine Pflanze betrachtet, hörte die Neugier in der Seele dieses toten Körpers auf dieses Erinnerungsflüstern.

Und wieder drang die Stimme der stolzen Dame aus ihrem Schweizer Grab durch den Norfolk-Lehm. »Elizabeth Devereux mit William Crow! Ich war töricht, eine Person wie dich, William, zu heiraten. Mutter hat immer gesagt, ich würde unter meinem Rang heiraten.«

Der Mund im Totengcsicht ging ein klein wenig weiter auf, und die fürchterliche, unnahbare Stille der Zersetzung vertiefte sich. - (cowp)

Seele

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