Schwimmbassin   Das Haus war leer, ein paar durchlöcherte Strohstühle standen in dem verlassenen Innenhof herum. Aber kaum hatte ich die Schwelle dieses Hofes überschritten, als ich mich, o Wunder, o Überraschung, vor einem Schwimmbassin aus weißem Email befand, das klares, grünschimmern des Wasser enthielt, dessen silberner Klang ein Versprechen bedeutete und eine Belohnung nach sechzehnstündigem Marsch unter blendender Sonne. Ein mit einer Kokosmatte belegtes Sprungbrett lud den unbekannten Badegast ein. Und dieser Unbekannte war ich. Das mag Sie vielleicht überraschen. Aber in der Wüste lernt man sich von Vorurteilen freimachen, man verliert den Sinn für Förmlichkeit. Ich war überzeugt, daß die Besitzer des Schwimmbades einem müden Wanderer, der seine Pflicht erfüllte, diese Unkorrektheit nicht übelnehmen würden. Im Augenblick lagen meine Kleider auf dem ersten besten Stuhl, und ich sprang ins Bassin. Wenn das Wasser auch lauwarm war, so tat es mir nach der großen Anstrengung doch wohl. Beim Schwimmen konnte ich meine Kleider und den kleinen Koffer überwachen, dessen Bedeutung nur mir allein bekannt war. Das Haus war verlassen, die Oase beinahe; ich glaubte also, keinen Fehler begangen zu haben. Ich versuchte, den Boden des Bassins zu berühren, und mußte zu meiner unangenehmen Überraschung feststellen, daß ich das Opfer einer optischen Täuschung geworden war. Das Wasser war so durchsichtig, daß es vom Sprungbrett aus nicht tief erschien. In Wirklichkeit erreichte meine große Zehe gerade den Grund, wenn ich mich aufrecht hielt, und das salzig schmeckende Wasser reichte mir dabei bis zum Munde. ›Ein Glück‹, dachte ich, ›daß ich schwimmen kann.‹ In diesem Augenblick krampfte sich mein Herz zusammen. Ich war mit einem Sprung ins Wasser gelangt. Mit einem Male wurde ich mir darüber klar, daß weder eine Treppe noch ein Seil vorhanden war, die es ermöglicht hätten, das Wasser zu verlassen. Die Distanz zwischen Wasserspiegel und Erde betrug bedeutend mehr als einen Meter. Ich schwamm rund um das Becken, aber umsonst; seine Wände aus Email waren glatt, und meine Finger rutschten an ihnen ab. Es war mir auch nicht möglich, durch einen Sprung den Rand des Bassins zu erreichen.  - Maurice Sandoz, Die Falle. In: M. S., Am Rande. Zürich 1967

Schwimmbassin (2) Als der Präsident der Republik noch unentschlossen über den einzuschlagenden Weg dastand, trat ein junger, weibischer Mann herein und winkte einer Maschinenschreiberin zu; sie verschwand mit ihm durch die Tür, die jener gegenüberlag, durch die er hereingekommen war.

Das beunruhigte ihn und er folgte dem Paar. Ein Labyrinth von Gängen, die er hinter ihnen durcheilte, führte ihn zu einem großen Schwimmbassin, in dem sieben oder acht übermäßig lange Frauenkörper schwammen. Galant forderte der junge Mann seine Gefährtin auf, sich auszuziehen und reichte ihr einen Badeanzug. Sie erwiderte mit einem Lächeln und man konnte auf allen Seiten kleine Zahnräder und winzige Federn herumflattern sehen, die ein wenig den Federn einer Uhr glichen. Nachdem sie um den Saal herumgetanzt, gegen Mauern und Decke gestoßen waren, fielen sie alle in das Bassin und ein kleiner Funke entstand in dem Augenblick, in dem sie die Oberfläche des Wassers berührten. Als erste tauchte die Frau unter und sie erschien einige Meter weiter graziös schwimmend. Hummer folgten ihr und suchten sie einzuholen. Sie schwamm immer schneller und die an den vier Ecken des Bassins befindlichen Uhren beschleunigten ihren Takt, indem sie sich ihrem Rhythmus anpaßten. Plötzlich schien die Luft staubgeschwängert. Der Präsident der Republik mußte nach Atem ringen; es wurde immer schwieriger, in dieser ungesunden Luft zu atmen. Der Präsident der Republik zündete eine Zigarette an und fiel in Ohnmacht.

Als er wieder zu sich kam, spielte die Sonne auf dem Wasser, auf dem kleine Kinderschiffe sanft schaukelten. Die Frau, die er mit soviel Anmut tauchen und schwimmen gesehen hatte, lag jetzt auch in übermäßiger Länge und ebenso nackt wie die anderen auf der Oberfläche des Wassers. Hunderte von Hummern suchten sich Nahrung in ihrem Bauch, in ihrem Magen, und einer von ihnen verschwand fast völlig im Brustkasten der schönen Schwimmerin.   - Benjamin Péret,  Boulevard Saint-Germain  125, in: B. P., Die Schande der Dichter. Prosa, Lyrik, Briefe. Hamburg 1985 (Edition Nautilus)

Schwimmbassin (3) Er versuchte, die Ruhe zu bewahren und weiter in das Bassin zu starren, wie sie es ihm befohlen hatte, aber das Porzellanmuster am Rand veränderte sich. An Stelle der beiden Delphine, die gegenseitig ihren Schwänzen nachjagten wie das astrologische Zeichen der Fische (das Zeitalter, das sich, gemäß Hagbard, seinem Ende zuneigte), war es jetzt auf einmal ein langes, schlangenähnliches Wesen, das seinen eigenen zu verschlingen suchte.

Das bin ja ich, dachte er. Viele Leute haben mir schon gesagt, ich sei  so dünn und lang wie eine Schlange.

 Und ist auch jeder andere (realisierte er plötzlich). Ich kann sehen, was George mir einmal sagte: das Selbst, das das Selbst verfolgt und versucht, es zu regieren, das Selbst, das sich selbst zu verschlingen sucht.

Aber während er noch ganz in Faszination versunken war, verfärbte sich das Bassin rot, blutrot, die Farbe der Schuld, und er fühlte etwas nach sich greifen und versuchen, ihn hinabzuziehen, hinein in rote Vergessenheit, in hinuntergespülte Leere.

«Es lebt», kreischte er auf. «Jesus Motherfucking Christ!»

Miss Portinari bewegte wie nebenbei das Bassin, von weit her und ganz ruhig, und das spiralige Innere nahm wieder seine ursprüngliche, aquamarine Farbe an. Harry fühlte, wie er rot wurde, es war nur eine Halluzination, und murmelte: «Verzeihen Sie meine Sprache, Madam.»

«Entschuldigen Sie sich nicht», sagte sie scharf. «ie wesentlichsten Wahrheiten erscheinen immer erst als Blasphemien oder Obszönitäten. Deshalb wird ja jeder große Erneuerer verfolgt. Das heilige Abendmahl ist für jeden Nichteingeweihten sublimierter Kannibalismus. Wenn der Papst die Füße der Laien küßt, sieht er für manche Leute wie eine alte Schwuchtel aus. Die Riten des Gottes Pan erscheinen den meisten wie eine Vorstadtorgie. Denken Sie darüber nach, was Sie gesagt haben. Da es aus fünf Worten besteht und damit dem Fünfergesetz Genüge tut, ist es von außerordentlicher Bedeutung.»

Das ist schon ein seltsamer Haufen, aber sie wissen wichtige Dinge, erinnerte sich Harry. Er blickte tief in die blaue Spirale und wiederholte leise für sich: «Es lebt, Jesus Motherfucking Christ, es lebt...»

Jesus, merkwürdig falkengesichtig und hagbardianisch aussehend, erhob sich aus dem Bassin. «Dies ist mein Bodhi», sagte er und zeigte mit dem Finger auf etwas. Harry folgte dem Finger und sah Buddha unter dem Bodhi-Baum sitzen. «Tat TV am Asi», sagte er und die vom Baum fallenden Blatter wurden zu unzähligen Fernsehapparaten, die alle denselben Laurel-und-Hardy-Film zeigten. «Nun sieh mal, was du mich hast anrichten lassen», sagte Hardy gerade ... In einer früheren Inkarnation sah sich Harry als römischen Söldner, Semper Cuni Linctus, der die Nägel ins Kreuz schlug. «Hör mal zu», sagte er zu Jesus, <<es ist nichts Persönliches. Ich tue nur meine Pflicht. Tun wir das nicht alle?»

«Blicken Sie in das Bassin», wiederholte Miss Portinari. «Blicken Sie nur in das Bassin.»  - (ill2)

Schwimmbassin (3)

-N. N.

 

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