Schwermut   Vor den Augen der Reisenden öffnete sich bereits die weite unendliche Ebene, eingefaßt von einer Hügelkette. Sich aneinanderdrängend und einer hinter dem anderen hervorschauend, verschmolzen die Hügel zu einem Höhenzug, der sich rechts von der Straße bis zum Horizont hinzog, wo er in der lilafarbenen Ferne verschwand; hier fuhr man immer zu und konnte nicht begreifen, wo der Höhenzug begann und wo er endete ... Im Rücken schaute die Sonne bereits hinter der Stadt vor und machte sich still und ohne viel Aufhebens an ihre Arbeit. Anfangs kroch weit vorn, wo der Himmel mit der Erde zusammenlief, unweit von niederen Grabhügeln und von einer Windmühle, die von fern wie ein kleines Menschlein aussah, das mit den Armen gestikulierte, ein breiter leuchtend gelber Streifen über die Erde hin; eine Minute darauf flimmerte ein ähnlicher Streifen schon etwas näher auf, kroch darauf nach rechts und faßte die Hügel ein; etwas Warmes berührte Jegoruschkas Rücken - ein Lichtstreifen, der von hinten herangekrochen war -, spritzte über den Wagen und die Pferde hinweg, fegte den anderen Lichtstreifen entgegen, und mit eins warf die ganze weite Steppe den Halbschatten der Frühe von sich ab und lächelte und blitzte vor Tau.

Das gemähte Korn, das Steppengras, der Löwenzahn, das Feuerkraut, alles das, was von der Hitze gebräunt war, gerötet und halbtot dalag, lebte jetzt, vom Tau benetzt und von der Sonne liebkost, auf, um aufs neue zu blühen. Steppenlerchen flogen mit lustigen Schreien über die Straße hin, im Grase pfiffen Zieselmäuse einander zu, zur linken Seite klagten irgendwo in der Ferne Kiebitze. Ein Schwärm Feldhühner schwirrte, von der Kalesche erschreckt, auf und flog mit seinem weichen »Trrr« den Hügeln zu. Grillen, Heimchen, Heuschrecken und Maulwurfsgrillen stimmten im Grase ihre monotone, knarrende Musik an.

Indes, nur wenig Zeit verging, da war der Tau bereits verdunstet; die Luft erstarrte, und die betrogene Steppe nahm aufs neue das melancholische Juliaussehen an. Das Gras hing herab, das Leben rings erstarb. Die verbrannten Hügel mit ihren schattenhaft ruhigen Farben, grünlichbraun und in der Ferne lila, die Ebene mit der nebligen Ferne und dem darübergestülpten Himmel, der einem in der Steppe, wo es keine Wälder und Berge gibt, so furchtbar tief und durchsichtig vorkommt, schienen jetzt endlos geworden zu sein, erstarben in Schwermut.   - Anton Tschechow, Die Steppe. Nach (tsch)

 

Stimmung

 

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Melancholie
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