Nicht alle Dinge schicken sich gleich für alle. (Properz, III, IX, 7)
Die Züge meines Gemäldes aber verwischen sich nicht, obgleich
sie sich ändern und wandeln. Die Welt ist nichts als eine nimmer
ruhende Schaukel. Alle Dinge in ihr
schwanken fort und fort: die Erde, die Felsen des Kaukasus, die
Pyramiden Ägyptens, im allgemeinen Schwanken der Dinge und in
ihrem eigenen. Die Beständigkeit selbst ist nichts anderes als
ein zaudernderes Schwanken. Ich kann meinen Gegenstand nicht
festhalten. Er geht taumelnd und wankend in natürlicher Trunkenheit
einher. Ich ergreife ihn in diesem Zustand, wie er ist, in dem
Augenblick, in dem ich mich mit ihm
beschäftige. Ich zeige nicht das Sein,
ich zeige den Übergang; nicht einen
Übergang von einem Alter zum andern, oder, wie das Volk sagt,
von sieben zu sieben Jahren, sondern von Tag zu Tag, von Minute
zu Minute. Ich muß meine Erzählung nach der Stunde richten. Ich
könnte alsbald ein anderer werden, nicht nur äußerlich, sondern
auch ändern Sinnes. Es ist eine Aufzeichnung verschiedener und
veränderlicher Zufälle, unbestimmter, und wenn es sich trifft,
auch gegensätzlicher Einfälle: sei
es, daß ich selber anders geworden bin, sei es, daß ich die Dinge
unter andern Umständen und anderem Winkel betrachte. Indessen
gilt, daß ich mir wohl mitunter widerspreche, der Wahrheit
aber, wie Demades sagte, widerspreche ich nicht. -
(
mon
)
Schwanken (2) Michael Murphy und John Webb von der University of South Wales in Sydney vermessen seit mehr als fünf Jahren das Licht von Quasaren, also von besonders hellen Objekten am Rande des Universums. 150 Quasare haben sie bereits mit dem Keck-Teleskop auf Hawaii analysiert. Auf dem Weg zur Erde passiert das Licht interstellare Gaswolken. Die darin enthaltenen Ionen, unter anderem Eisen und Magnesium, absorbieren bestimmte Frequenzen davon. Aus den fehlenden Frequenzen können die Forscher die Feinstruktur der Ionen bestimmen und schließlich die Konstante Alpha berechnen. Weil das Licht mehttere Milliarden Jahre zur Erde brauchte sind die Messungen zugleich ein Blick in die Vergangenheit.
Die beiden Australier machten eine erstaunliche Entdeckung: Im frühen Universum, vor mehr als acht Milliarden Jahren, lag Alpha näher bei 1 / 137 037 als beim heutigen Wert von 1 / 137 036.
Manche Physiker schienen sich mit der Nachricht von der veränderlichen
Feinstrukturkonstante schnell anzufreunden. Veränderliche Konstanten
würden nämlich gut zur Stringtheorie passen. Diese Theorie postuliert
elf Dimensionen, von denen Menschen jedoch nur drei Raumdimensionen
und eine Zeitdimension erkennen können. Von den wahren Naturkonstanten
im elfdimensionalen Raum nehmen sie gewissermaßen nur einen Schatten
wahr. Und dieser Schatten, so die
neue Idee, kann durchaus ein bisschen schwanken, obwohl die Konstanten
in elf Dimensionen stabil sind. - Max Rauner, Berliner
Zeitung vom 3. Juni 2004
Schwanken (3) Sie springt in den Kahn,
ergreift das Ruder und stösst ab. Sie muss Gewalt brauchen, sie
wiederhohlt den Stoss, der Kahn schwankt
und gleitet eine Strecke Seewärts. Auf dem linken Arme das Kind,
in der linken Hand das Buch, in der rechten das Ruder, schwankt
auch sie und fällt in den Kahn. Das Ruder entfährt ihr, nach
der einen Seite, und wie sie sich erhalten will, Kind
und Buch, nach der anderen, alles ins
Wasser. Sie ergreift noch des Kindes Gewand; aber ihre unbequeme
Lage hindert sie selbst am Aufstehen. Die freye rechte Hand
ist nicht hinreichend sich umzuwenden, sich aufzurichten; endlich
gelingt's, sie zieht das Kind aus dem Wasser, aber seine Augen
sind geschlossen, es hat aufgehört zu athmen.
- Goethe, Die Wahlverwandtschaften. Nach: Uwe Johnson, Begleitumstände.
Frankfurter Vorlesungen. Frankfurt am Main 1980 (es 1019)
![]() |
||
![]() |
||
![]() |
![]() |
|
![]() |
||
![]() ![]() |
||
![]() ![]() |
![]() ![]() |