chwanengesang In der wichtigsten Sache ist der Schwan dem Menschen überlegen: Er weiß, wann sein Ende naht. Und damit er ihm gelassen entgegensehe, hat ihm die Natur das schönste Geschenk gemacht. Er ist überzeugt, daß der Tod nichts Schmerzliches und Trauriges hat, während sich die Menschen vor etwas fürchten, das sie nicht kennen, und ihn für das größte Übel halten. So groß ist die Hochstimmung des Schwanes, daß er sogar am Ende seines Lebens singt und sich sozusagen sein eigenes Gedächtnislied anstimmt. In solcher Art soll sich auch Bellerophon heldenhaft und hochgemut zum Tode gerüstet haben, wie ihn Euripides besingt, der ihn zu seiner Seele sagen läßt:
„Dein Leben lang hast du die Götter fromm verehrt,
den Fremden warst du Helfer, nimmer müd dem Freund"
usw. Also singt der Schwan sich ein Totenlied als Wegzoll für die lange Reise,
entweder in Hymnen auf die Götter oder als ein Preislied auf sich selbst. Auch
Sokrates bezeugt, daß er nicht aus Kummer,
sondern aus Freude singt. Denn wessen Seele betrübt und bekümmert ist, der hat
keine Zeit für Lieder und Melodien. - (
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)
Schwanengesang (2)
- Max Walter Svanberg, nach: Wieland Schmied, Zweihundert Jahre
phantastische Malerei. München 1980
Schwanengesang (3)
Fünfunddreißig Jahre! Es war der Schwanengesang ihrer Jugend. Ich
habe zuweilen Aussprüche wie diese gehört: «Vor meinem Tode möchte ich
noch das Meer (oder Indien oder den Papst) sehen.
Vor meinem Tode möchte
ich noch Opium rauchen, im Fesselballon aufsteigen, meiner Tante den Schädel
spalten.»
Nun wohl, Cecilia sagte oft zu sich selbst: «Vor meinem Tode möchte
ich noch die Liebe kennenlernen.» - Pitigrilli, Der falsche
Weg. Reinbek bei Hamburg 1988
Schwanengesang (4)
Schwanengesang (5) In den alten Zeiten
hat es sich unter andern einmal zugetragen, daß einer jener sonderbaren Dichter
oder mehr Tonkünstler - wiewohl die Musik und Poesie wohl ziemlich eins seyn
mögen und vielleicht eben so zusammen gehören wie Mund und Ohr, da der erste
nur ein bewegliches und antwortendes Ohr ist - daß also dieser Tonkünstler übers
Meer in ein fremdes Land reisen wollte. Er war reich an schönen Kleinodien und
köstlichen Dingen, die ihm aus Dankbarkeit verehrt worden waren. Er fand ein
Schiff am Ufer, und die Leute darinn schienen bereitwillig, ihn für den verheißenen
Lohn nach der verlangten Gegend zu fahren. Der Glanz und die Zierlichkeit seiner
Schätze reizten aber bald ihre Habsucht so sehr, daß sie unter einander verabredeten,
sich seiner zu bemächtigen, ihn ins Meer zu werfen und nachher seine Habe unter
einander zu vertheilen. Wie sie also mitten im Meere waren, fielen sie über
ihn her, und sagten ihm, daß er sterben müsse, weil sie beschlossen hätten,
ihn ins Meer zu werfen. Er bat sie auf die rührendste Weise um sein Leben, bot
ihnen seine Schätze zum Lösegeld an, und prophezeyte ihnen großes Unglück, wenn
sie ihren Vorsatz ausführen würden. Aber weder das eine, noch das andere konnte
sie bewegen: denn sie fürchteten sich, daß er ihre bösliche That einmal verrathen
möchte. Da er sie nun einmal so fest entschlossen sah, bat er sie ihm wenigstens
zu erlauben, daß er noch vor seinem Ende seinen Schwanengesang spielen dürfe,
dann wolle er mit seinem schlichten hölzernen Instrumente, vor ihren Augen freiwillig
ins Meer springen. Sie wußten recht wohl, daß wenn sie seinen Zaubergesang hörten,
ihre Herzen erweicht, und sie von Reue ergriffen werden würden; daher nahmen
sie sich vor, ihm zwar diese letzte Bitte zu gewähren, während des Gesanges
aber sich die Ohren fest zu verstopfen, daß sie nichts davon vernähmen, und
so bey ihrem Vorhaben bleiben konnten. Dies geschah. Der Sänger stimmte einen
herrlichen, unendlich rührenden Gesang an. Das ganze Schiff tönte mit, die Wellen
klangen, die Sonne und die Gestirne erschienen zugleich am Himmel, und aus den
grünen Fluten tauchten tanzende Schaaren von Fischen und Meerungeheuern hervor.
Die Schiffer standen feindselig allein mit festverstopften Ohren, und warteten
voll Ungeduld auf das Ende des Liedes. Bald war es vorüber. Da sprang der Sänger
mit heitrer Stirn in den dunkeln Abgrund hin, sein wunderthätiges Werkzeug im
Arm. Er hatte kaum die glänzenden Wogen berührt, so hob sich der breite Rücken
eines dankbaren Unthiers unter ihm hervor, und es schwamm schnell mit dem erstaunten
Sänger davon. Nach kurzer Zeit hatte es mit ihm die Küste erreicht, nach der
er hingewollt hatte, und setzte ihn sanft im Schilfe nieder. Der Dichter sang
seinem Retter ein frohes Lied, und ging dankbar von dannen. Nach einiger Zeit
ging er einmal am Ufer des Meers allein, und klagte in süßen Tönen über seine
verlohrenen Kleinode, die ihm als Erinnerungen glücklicher Stunden und als Zeichen
der Liebe und Dankbarkeit so werth gewesen waren. Indem er so sang, kam piözhch
sein alter Freund im Meere fröhlich daher gerauscht, und ließ aus seinem Rachen
die geraubten Schätze auf den Sand fallen. - Novalis, Heinrich von Ofterdingen
Schwanengesang (6) Nach den alten Erzählern war auch jener Kyknos, der die Landung der Griechen schon in der Meerenge zwischen dem Festland und Tenedos oder dann auf dem Strand verhindern wollte, kein Sohn des Apollon, ebensowenig wie jener andere Kyknos, den Herakles, vom thrakischen Diomedes kommend, tötete. Erst von einem dritten Kyknos heißt es bei einem späten Erzähler, er sei ein Sohn des Apollon gewesen, und von einem vierten, einem König der Llgurer und Verwandten des Phaethon, daß er sich, um den Sohn des Helios trauernd, in einen Schwan verwandelte,-was freilich nicht hindert, daß in einer verlorenen ganz alten Geschichte von einem einzigen Kyknos, einem Apollonsohn mit Namen »Schwan«, die Rede war und wahrscheinlich immer von einem Thraker.
Ein thrakischer Verbündeter des Priamos mag jener Kyknos gewesen sein, der
die Griechen als erster angriff, angeblich ein Sohn des Poseidon und der Kalyke,
einer Nymphe mit Namen »Blumenkelch«. Von Schwänen war das Kind umkreist, als
die Fischer es am Strand fanden. Nicht wie ein Mensch, sondern wie eine Schreckgestalt,
ganz weiß und unverwundbar,
ging er auf Achiileus zu, der als zweiter nach
Protesilaos das Land betrat. Er bedrohte den Sohn der Thetis mit Riemenschlägen.
Achiileus erschlug mit einem Stein das Urwesen439, eine Tat, die von den Dichtern
knge noch besungen wurde. Kyknos ließ einen Schrei ertönen wie die Schwäne in
ihrer Sterbestunde; die Trojaner aber, als sie ihn stürzen sahen, zogen sich
in die Mauer zurück, und die Belagerung begann.
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(kere)
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