Schwammtier  Wo zum Teufel war mir die Frau schon begegnet, die jetzt mit den Händen ihre wieder geordnete Frisur prüfte? Einen Augenblick lang sah ich ihre Schultern: ein Spinnennetz verschleierte sie. Dann kam das Haar dran, es verschwand unter einem großen braunen Insekt. Eine Libelle ging etwas unter dem Gürtel auf Beutezug, die Hände spielten mit Zobelhandschuhen und einem Handtäschchen aus aschblondem Glimmer. Sie ging wie man lacht, und als sie auf der Türschwelle stand, sah ich ihren Fuß in einer Laubfalle und dann ihr goldenes Bein und ich fragte mich abermals: Wer mag bloß dieses Schwammtier sein? Da sagte die reizende Blondine, sich zu mir neigend: »Hast du denn vergessen, es war doch erst gestern: Die Grünpflanzen sind nicht verwelkt, die Kronleuchter haben weder ihren Glanz verloren noch ist das dunkle Rot der Logen verblaßt. Als ich inmitten unbändigen Gelächters erschien, es war zur Zeit der Tag- und Nachtgleiche, brauchte ich mich nur ein wenig in den Hüften zu wiegen und die Dünung des Dunkels überflutete die Gesichter, ein Meer von Männerarmen streckte sich Nana entgegen.«

»Nana!« rief ich aus, »wie bist du doch nach dem Geschmack der Zeit!«

»Ich bin«, sagte sie, »der Zeitgeschmack selbst und durch mich atmet alles. Kennst du die neuesten Schlager? Sie sind so erfüllt von mir, daß man sie nicht singen kann: man muß sie flüstern. Alles, was vom Widerschein lebt, alles, was glitzert, alles, was vergänglich ist, heftet sich an meine Fersen. Ich bin Nana, der Inbegriff der Zeit. Hast du, mein Lieber, nie eine Lawine gehabt? Betrachte nur meine Haut. Unsterblich. Gleichwohl sehe ich aus wie leicht verschossener Stoff. Ein Strohfeuer, das man anfassen möchte. Doch auf diesem ewigen Scheiterhaufen lodert der Brandstifter. Die Sonne ist mein Hündchen. Es folgt mir, wie du siehst.«    - (ara)

Schwammtier (2)   Hinter der Milchstraße haust ein Aal, eine Art Himmelsschlange, Sie nährt sich von den Sonnen, die im Schlamm der Tiefe herumwimmeln. Ihr Auge ist wie das vierblättnge Kleeblatt des Raums, und an ihrer Schwanzspitze brechen Welten hervor und zeigen wie Schellen die Zeit an. Wenn sie sich häutet, fällt aus jeder ihrer Schuppen ein Komet, und ihre Verdauung ist das Licht. Wie ein Regenwurm in einer Wurzel, ist sie im Fuß eines Schwammtiers verfangen, an dem sie nagt und das sie fast völlig verbirgt, jede Pore dieses Schwamms atmet und stöhnt wie eine menschliche Zeugung. Dieser Schwamm ist der Schwamm der Finsternis, die Wurzel aller Zungen, die Orgel des Ursprungs. Wie das Gehirn im Schädel modelt er sich nach der Ersten Form.. Er ist das primitivste, einfachste, elementarste Muster einer Gattung von unbenennbaren, unzulässigen Gegengeschöpfen und widersetzt sich jeder Einordnung m irgendeine Einheit.  - Blaise Cendrars, Sternbild Eiffelturm. Zürich 1982 (zuerst 1949)
 
 

Tiere, hypothetische

 

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Schwamm
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