Schwamm  Morgenlicht überflutete das Land. Es schien aus dem zarten Grün der Saaten aufzusteigen, aus den Felsen und taufeuchten Bäumen, und kaum merklich zum blinden Himmel emporzuschweben. Das Chiarchiaro von Gramoli, ein absurder Fremdkörper in der grünenden Ebene, sah aus wie ein riesiger Schwamm mit schwarzen Löchern, der sich mit dem zunehmenden Licht über dem Land vollsaugte. Der Hauptmann Bellodi war an dem Punkt, wo Müdigkeit und Schlaftrunkenheit, als verzehrten sie sich selbst, zu einem hellsichtigen Fieber werden, gleichsam zu einem Spiegel glühender Visionen. (Und ebenso verhält es sich mit dem Hunger, der an einem gewissen Punkt, bei einer gewissen Stärke, sich in eine klarsichtige Leere verwandelt, die vor dem Anblick jeglicher Speise zurückscheut.) Der Hauptmann dachte: Gott hat diesen Schwamm hierher geworfen. Denn der Anblick des Chiarchiaro schien ihm dem Kampf und der Niederlage Gottes im menschlichen Herzen zu entsprechen. Halb im Scherz, und weil er wußte, daß den Hauptmann gewisse volkstümliche Redewendungen interessierten, sagte der Unteroffizier:

E lu cuccu ci dissi a li cuccuotti
a lu chiarchiaru nni vidiemmu tutti.

Tatsächlich  erregte  das  sofort  die  Neugierde  des Hauptmanns, der ihn nach der Bedeutung des Sprichwortes fragte.

Der Unteroffizier übersetzte: «Und der Kuckuck sagte zu seinen Jungen: Im Chiarchiaro treffen wir uns alle wieder.» Und er fuhr fort, das solle vielleicht heißen, daß der Tod uns alle wieder vereinigt. Denn das Chiarchiaro gelte, wer weiß warum, als ein Bild des Todes. Der Hauptmann verstand sehr wohl warum. Und wie in einer Fiebervision sah er eine Versammlung zahlloser Nachtvögel im Chiarchiaro vor sich, die im trüben Morgenlicht blindlings mit den Flügeln schlugen. Und es kam ihm so vor, als könne man die Bedeutung des Todes durch kein schrecklicheres Bild ausdrücken.   - Leonardo Sciascia, Der Tag der Eule. Zürich 1991

Schwamm (2)

ROSENKRANZ Was habt Ihr mit dem Leichnam, Prinz, gemacht?

HAMLET Ihn mit dem Staub gepaart, dem er verwandt.

ROSENKRANZ Sagt uns den Ort, daß wir ihn weg von da In die Kapelle tragen.

HAMLET   Glaubt es nicht.

ROSENKRANZ Was nicht glauben?

HAMLET Daß ich Euer Geheimnis bewahren kann und meines nicht. Überdies, sich von einem Schwamme fragen zu lassen! Was für eine Antwort soll der Sohn eines Königs darauf geben?

ROSENKRANZ Nehmt Ihr mich für einen Schwamm, gnädiger Herr? HAMLET Ja, Herr, der des Königs Miene, seine Gunst-Bezeugungen und Befehle einsaugt. Aber solche Beamte tun dem Könige den besten Dienst am Ende. Er hält sie, wie ein Affe den Apfel, im Winkel seines Kinnbackens: zuerst in den Mund gesteckt, um zuletzt verschlungen zu werden. Wenn er braucht, was Ihr aufgesammelt habt, so darf er Euch nur drücken, so seid Ihr, Schwamm, wieder trocken.

ROSENKRANZ Ich verstehe Euch nicht, gnädiger Herr.

HAMLET Es ist mir lieb; eine lose Rede schläft in dummen Ohren.

- Shakespeare, Hamlet

 

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