Schulmädchen  »Ich stelle mir dauernd vor, wie es sein wird.« Sie sprach sehr leise, sehr deutlich zu einem Punkt direkt hinter ihm an der Wand. »Irgendwie denke ich mir, daß die Kirchen als erstes einstürzen werden, sogar noch vor dem Empire State Building. Und dann die ganzen großen Mietshäuser am Fluß, sie werden langsam ins Wasser rutschen und mit ihnen die Leute drin. Und die Schulen, vielleicht mitten im Lateinunterricht, während wir Cäsar lesen.« Sie wandte den Blick seinem Gesicht zu und sah ihn mit dumpfer Erregung an. »Jedesmal, wenn wir mit einem neuen Kapitel Cäsar anfangen, frage ich mich, ob es nicht das sein wird, das wir nie beenden werden. Vielleicht sind wir in unserer Lateinklasse die letzten Menschen, die Cäsar gelesen haben werden.«

»Das hätte sein Gutes«, sagte er leichthin. »Ich habe Cäsar nicht ausstehen können.«

»Ich nehme an, als Sie jung waren, haben alle Cäsar nicht ausstehen können«, sagte sie kühl.

Er wartete eine Weile, bevor er weiterredete. »Ich finde es ziemlich töricht, daß du dir den Kopf mit diesem ganzen morbiden Schund vollstopfst. Kauf dir eine Filmzeitschrift und beruhige dich.«

»Ich werde alle Filmzeitschriften kriegen können, die ich will«, sagte sie trotzig. »Die U-Bahnen werden durch die Mauern krachen, wissen Sie, und die kleinen Zeitungsstände werden alle zermalmt werden. Man wird so viele Süßigkeiten einsammeln können, wie man will, und Zeitschriften und Lippenstifte und künstliche Blumen aus dem Kaufhaus und Kleider, die auf der Straße liegen, solche aus den besseren Läden. Und Pelzmäntel.«

»Ich hoffe, daß die Schnapsläden sperrangelweit offenstehen werden«, sagte er und spürte, daß er allmählich die Geduld mit ihr verlor. »Ich würde reinspazieren und mir eine Kiste Brandy nehmen und mir nie wieder um irgend etwas Sorgen machen.«

»Die Bürogebäude werden nur noch Schutthaufen sein«, sagte sie und blickte ihn immer noch mit weit geöffneten Augen eindringlich an. »Wenn man nur genau wüßte, in welcher Minute es passieren wird.«

»Ich verstehe«, sagte er. »Ich werde draufgehen, mit allem übrigen. Ich verstehe.«

»Danach wird alles anders sein«, sagte sie. »Alles, was die Welt so macht, wie sie jetzt ist, wird verschwunden sein. Wir werden neue Regeln haben und neue Lebensweisen. Vielleicht wird es ein Gesetz geben, das verbietet, in Häusern zu leben, damit sich niemand vor den anderen verstecken kann, verstehen Sie.«

»Vielleicht wird es ein Gesetz geben, das bestimmt, daß alle siebzehnjährigen Mädchen in die Schule gehen müssen, damit sie Vernunft annehmen«, sagte er und stand auf.

»Es wird keine Schulen mehr geben«, sagte sie trocken. »Niemand wird irgend etwas lernen. Um zu verhindern, daß es wieder so wird, wie es jetzt ist.«  - Shirley Jackson, Die Teufelsbraut. Zürich 1989 (zuerst 1949)

Schulmädchen (2)

- Ronald Searle

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