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Es gibt eine Gruppe «Hüter des Morgenaufgangs»; sie versammeln sich
in aller Frühe, alte Männer. Bevor morgens, höre ich, einer eintritt, klopft
er dreimal an die Tür; die Geister beten nachts in der «Schul». Man soll nachts
nicht an der Schul vorbeigehen. Einmal ging einer vorbei; da wurde er drin zur
Thora aufgerufen; es geschah ihm nichts; nur durfte er sich nicht umdrehen,
als er wegging. Einer erzählt mir von den Büchern, die sie in der Betstube lesen,
auch von der Kabbala. Die lerne man spät. Einer war zu jung, sechzehn Jahre,
und fing schon an, Kabbala zu lesen. Er sonderte sich ab, las und las. Er sprach
nicht mehr, aß nur Brot und Salz. Er sprach mit seiner Mutter nicht. Bald starb
er hin; sein Vater war ein Rabbi, der talmudische Worte
verfaßte. «Geheimnisse der Welt» sind in dieser Kabbala. Es steht drin von den
Engeln, die jeden Menschen bewachen. Die Kabbalisten
zerlegen jedes Wort der Thora, sagen, was jeder Buchstabe bedeutet, wann der
Messias kommen wird, auch von schlechten Engeln, von Samiel
und seiner Gemahlin Malkaschwu. - Alfred Döblin, Reise
in Polen. München 1987 (zuerst 1925)
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