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Paß auf, sagte er: kleiner Schönheitsfehler gestern im Nordbad.
Ich mach doch grad für Südimport so'n Blatt, Sommer im Winter durch
frische Orangen oder so, da brauch' ich was Sommerliches, Bewegung, Atmosphäre,
Visagen, verstehst Du. Mir war schon fast schlecht von all den feuchten Tuttenengeln
ringsum, nichts als zu kurze und zu lange Beine und Protz- und Jammerbusen,
und jede glaubt, sie sei von Milo. Ich saß im Bad-Café unterm Schirm; natürlich
nicht in Badehose, dazu kriegen die mich nicht, und schaute zu, weil ich mußte,
mir fiel von selbst nichts ein. Da kam ein Rotzlöffel,
kaufte sich was Kaltes und setzt sich zu mir an den Tisch, rechteckige kleine
Kästchenstirn, fingerdicke Brauengirlande, freches neugieriges Geschau, die
Nasenflügel ausgebeult wie ein Eskimoschlittenhund, der Mund eine halbzerque^schte
aufgeplatzte Pflaume, drin weiße Palisaden, nachher sagte er mir, daß er sich
gerade zum zweitenmal rasiert hatte in seinem Leben, stell Dir vor, eine Haut
nach der zweiten Rasur, dabei Lehrling im Telegrafenamt, war gerade zehn Tage
lang beim Mastensetzen gewesen, mein lieber Anselm, das gibt Kraft, davon wissen
wir nichts mehr, das hat einen Schub, sag' ich Dirl Er natürlich in Badehose,
keine gerade Linie am ganzen Körper, alles in nicht zu weit ausschwingenden
Kurven, von Muskel zu Muskel, die Brusttrapeze wie aus Schildpatt, wenn ich
ihn berührte, mußte ich aufpassen, daß ich mir die Nagel nicht abbrach. Ludwig
hieß er, schöner Name, findest Du nicht? Aber ein Verbrecher, glaub mir, der
perfekte Verbrecher, setzt sich an meinen Tisch, saugt das Cola aus der Flasche
und schaut mich dabei an und grinst, saugt aber weiter, zeigt mir sein Paket
in der Badehose, frustriert mich bis in die Kniekehlen, macht mich butterweich,
ich warte im Wagen, er weiß auch gleich einen Platz, spielt mit mir Appoll im
Mittelgewicht, weißt Du, wenn er sein Bein streckte, fühlte es sich an, als
werde er zu Stein, ich kann mich wirklich an keinen ähnlichen Schub erinnern,
na ja, und abends kommt er mit seiner Mutter zu mir und sie verlangen Geld.
Fünfzig hatte ich ihm freiwillig gegeben. Aber dann mit dem Jugendgesetz und
so, und ich hätte gedrängt, hätte etwas vorgespiegelt, er hätte keine Ahnung
gehabt. So ist es eben, wenn man sich nicht ganz aussprechen kann. - Martin Walser, Halbzeit. München 1971 (zuerst
1960)
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