Schöpferin  Lora erreichte die Tribüne. »Seht her!« schrie sie und hielt ihren Beitrag in die Höhe. Die Weltkunst-Kugel fing das Licht auf und glitzerte. Gegen seinen Willen mußte Hull das Ding bewundern. Wenn die eigentliche Welt im Inneren genausogut war wie das Äußere . . .

Lora schaltete die Kugel ein. Sie glühte und flimmerte funkelnd. Der Saal voller Menschen wurde still, alle starrten auf den Beitrag der Siegerin, auf die Welt, die unter allen Mitbewerbern den ersten Preis errungen hatte.

Lora Beckers Beitrag war ein Meisterwerk. Das mußte selbst Hüll zugeben. Sie stellte eine stärkere Vergrößerung ein und rückte den mikroskopisch kleinen Hauptplaneten in den Blickpunkt. Ein Raunen der Bewunderung ging durch den Saal.

Wieder stellte Lora eine stärkere Vergrößerung ein. Der Hauptplanet wuchs und ließ ein blaßgrünes Meer erkennen, das leise an eine flache Küstenlinie plätscherte. Eine Stadt kam in Sicht, Türme und breite Straßen, elegante Bänder aus Gold und Stahl. Darüber strahlte eine Doppelsonne und wärmte die Stadt. Zahllose Einwohner schwärmten geschäftig umher.

»Herrlich«, sagte Bart Longstreet leise und kam zu Hull herüber. »Aber die alte Hexe hat sechzig Jahre daran gearbeitet. Kein Wunder, daß sie gewonnen hat. Sie hat an jedem Wettbewerb teilgenommen, solange ich mich erinnern kann.«

»Ganz hübsch«, gab Julia mit gepreßter Stimme zu.

»Gefällt sie dir nicht?« fragte Longstreet. -.   »Das alles hier gefällt mir nicht!«

»Sie möchte gehen«, erklärte Hull und ging auf das Abwärtsrohr zu. »Wiedersehen, Bart.«

Bart Longstreet nickte. »Ich weiß, was ihr meint. In vielen Punkten bin ich der gleichen Ansicht. Stört es euch, wenn ich - «

»Schaut her!« schrie Lora Becker mit gerötetem Gesicht. Sie stellte die Vergrößerung auf maximale Tiefenschärfe ein, so daß Einzelheiten der winzig kleinen Stadt zu erkennen waren. »Seht ihr sie? Seht ihr?«

Die Einwohner der Stadt kamen scharf und deutlich in Sicht. Sie gingen eilig ihren Beschäftigungen nach, Tausende und Abertausende. In Autos und zu Fuß. Über spinnwebartige Brückenbögen zwischen Gebäuden von atemberaubender Schönheit.

Lora hielt die Weltkunst-Kugel in die Höhe und atmete schnell. Sie starrte im Raum umher, mit feuchten, entzündeten Augen, die krankhaft glitzerten. Das Raunen wurde lauter und schwoll erregt an. Zahlreiche Weltkunst-Kugeln wurden von eifrigen, leidenschaftlichen Händen gepackt und in Brusthöhe gehoben.

Loras Mund öffnete sich. Speichel rann die Falten ihres eingefallenen Gesichts herunter. Ihre Lippen verzerrten sich. Sie hob ihre Kugel hoch über den Kopf, ihre teigige Brust wölbte sich konvulsivisch. Plötzlich zuckte ihr Gesicht, die Gesichtszüge waren wüst entstellt. Ihr dicker Körper schwankte grotesk - und die Weltkunst-Kugel flog ihr aus den Händen und krachte vor ihr auf die Tribüne.

Die Kugel zersplitterte und zersprang in tausend Stücke. Metall und Glas, Plastikteile, Zahnräder, Verstrebungen, Röhren, die lebenswichtigen Mechanismen der Kugel, flogen in alle Richtungen.

Ein Höllenlärm brach aus. Überall im Saal zertrümmerten andere Eigentümer ihre Welten, zerbrachen und zerquetschten sie, traten darauf herum und zermalmten die empfindlichen Steuervorrichtungen unter ihren Füßen. Ausgelöst durch Lora Beckers Signal, zuckten Männer und Frauen in besinnungsloser Raserei in einer Orgie dionysischer Wollust. Zerquetschten und zerbrachen ihre sorgfältig konstruierten Welten, eine nach der anderen.

»O Gott«, keuchte Julia und drängte zusammen mit Hull und Longstreet dem Ausgang zu.

Schweißglänzende Gesichter, leuchtende, fiebrige Augen. Albern aufgerissene Münder, die sinnlose Laute ausstießen. Kleider wurden zerfetzt und vom Leib gerissen. Ein Mädchen sank nieder, glitt zu Boden, ihre schrillen Schreie gingen in dem allgemeinen Getöse unter. Ein anderes folgte und wurde von der ziellos umherirrenden Menge heruntergezerrt. Männer und Frauen kämpften in einem besinnungslos schreienden, keuchenden Haufen. Und überall das schreckliche Geräusch von zersplitterndem Metall und Glas, das endlose Getöse von Welten, die eine nach der anderen zerstört wurden.  - Philip K. Dick, Menschlich ist ...  Zürich  1996

Schöpferin (2)
 

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