Schneiderpuppe

 

  - N.N.

Schneiderpuppe (2)  Mein Vater griff mit wiedergewonnener Beredsamkeit sein dunkles und verworrenes Thema wieder auf. Die Lineatur seiner Falten glättete sich und zog sich mit raffinierter Arglist wieder zusammen. In jeder Spirale steckte ein Ironiegeschoß. Doch von Zeit zu Zeit weitete die Inspiration die Kreise seiner Falten, so daß sie zu einem riesigen Wirbel des Grauens anwuchsen und in schweigenden Voluten in die Tiefe der Winternacht entwichen. »Die Figuren eines Panoptikums, meine Damen«, begann er, »sind Kreuzweg-Parodien der Schneiderpuppen, doch hütet euch davor, sie allzu leichtfertig zu behandeln, selbst in dieser Gestalt. Die Materie versteht keinen Spaß. Sie ist immer von tragischem Ernst erfüllt. Wer könnte es wagen zu denken, man könne mit der Materie spielen, man könne sie nur zum Scherz formen und der Scherz wachse nicht in sie hinein, fräße sich nicht sofort in sie hinein wie das Schicksal, wie die Bestimmung? Ahnt ihr den Schmerz, das stumme, eingesperrte Leid, das in die Materie eingeschmiedete Leid dieses Ungetüms, das nicht weiß, warum es ein solches ist und warum es in der gewaltsam aufgezwungenen Form verbleiben muß, die eine Parodie ist? Begreift ihr die Macht des Wortes, der Form, des Scheins, der tyrannischen Willkür, mit welcher der Schmerz sich auf den wehrlosen Holzklotz stürzt und ihn beherrscht wie eine eigene, tyrannische, überhandnehmende Seele? Ihr verleiht irgendeinem Kopf aus Werg und Leinwand den Ausdruck des Zorns und laßt ihn mit diesem Ärger, mit dieser Konvulsion, mit dieser Anspannung für alle Zeiten allein, eingeschlossen mitsamt der blinden Wut, für die es kein Ventil gibt. Die Menge lacht über diese Parodie. Weinen solltet ihr, meine Damen, über euer eigenes Schicksal, wenn ihr das Elend der gefesselten, geknechteten Materie seht, die nicht weiß, wer sie ist, wozu es sie gibt und wohin die Geste führen wird, die ihr für alle Zeiten gegeben ist.

Die Menge lacht. Begreift ihr den furchtbaren Sadismus, die berauschende, demiurgische Grausamkeit dieses Gelächters? Denn schließlich, meine Damen, sollten wir angesichts des Elends der Materie das eigene Schicksal beweinen, angesichts der vergewaltigten Materie, der gräßliches Unrecht widerfahren ist. Von daher, meine Damen, rührt der schreckliche Kummer all der närrischen Golems, all der Ungetüme, die in tragische Grübelei über ihre lächerliche Grimasse verfallen sind.«   - Bruno Schulz, Traktat über die Schneiderpuppen - Zweiter Teil. Nach (bs2)

 

Schneider

 

  Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Synonyme