Schnabelweide   Mir wurde bewußt, daß ich mich nach Wal sehnte. Seine Bedürfnisse waren so einfach und unkompliziert; Sex, Essen, Vergnügen, in dieser Reihenfolge. Sowie ein Bedürfnis befriedigt war, wandte er sich dem nächsten zu und fing dann wieder von vorn an. An meiner Beziehung zu ihm war nichts Schwieriges; [eh empfand sie als angenehm und natürlich wie die Wärme der Sonne; wir fühlten uns zusammen wohl und ungezwungen, denn wir wußten, daß einer dem ändern geben konnte, was er brauchte. Ich war, was Maggie nicht wußte, bevor ich nach Cornwall kam, ein paarmal mit ihm ausgegangen, und es bereitete mir kaum Gewissensbisse, daß ich es ihr verschwiegen hatte, denn was sich abspielte, war jedesmal das gleiche und denkbar harmlos: zuerst gingen wir in der Wohnung seines Colonel in der Curzon Street ins Bett (eine höchst merkwürdige Bude; das Bett war kreisrund und der Boden mit zehn Zentimeter tiefem Pelz bedeckt; ich nahm an, daß der Colonel ein privates Nebeneinkommen hatte, vielleicht von einer 01-Gesellschaft). Nach dem Bett gingen wir essen, Wal am liebsten in Lyons' Corner House; nicht daß ihm für teuere Restaurants das Geld leid tat, doch er sagte, protzige Lokale bereiteten ihm Magenweh. Dann ein lustiges Theaterstück ohne allen morbiden Problemkram; und dann zurück in die Wohnung und wieder ins Bett. Beim Essen wie beim Sex war Wals Geschmack anspruchslos; er mochte beides einfach, aber gut. Keine exzentrische Garnierung, keine exzentrischen Stellungen, nur ein Gericht, aber davon eine ordentliche Portion. Er war entzückt von mir und sagte mir oft, ich sei eine Wucht, eine richtige Schnabelweide. Ich mußte grinsen, als ich jetzt, während ich durch den Morast ging, an das Wort dachte. Du bist-wirklich Klasse, murmelte er, nahm einen Mundvoll Haar und Ohr und schlang seinen einen Arm um meinen Hals und den anderen um meine Knie. »Besser als alle andern, die du gehabt hast, Wal?« »Lenk mich nicht ab, Kleines.«

Er war begeistert von meiner rasch erworbenen Tüchtigkeit im Bett, und ich war auch begeistert; ich hatte von meiner Fähigkeit, etwas Neues zu lernen, immer wenig gehalten, doch zu meiner Erleichterung stellte ich fest, daß ich offenbar in dieser Hinsicht, wenn schon in keiner ändern, ein natürliches Talent besaß.  - Joan Aiken, Die Kristallkrähe. Zürich 1974

Frau, reizende

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