chmutzkerl   Einen Moment lang blinzelten die Lampen oben und verloschen. Doch nicht für lange, denn schon im nächsten Augenblick lieferte der eifrige Regulator eine neue Dosis Gas und speiste die Brennstellen. Der Schaffner roch den spezifischen, schweren Geruch, der ein wenig an Fenchel erinnerte. Er war stärker als der Pfeifenrauch, drang überall ein, trübte die Sinne...

Plötzlich schien es Boron, als hörte er nackte Füße über dem Boden des Korridors schreiten.

»Dum, dum, dum«, dröhnten die nackten Sohlen, »dum, dum, dum ...«

Der Schaffner wußte schon, was das bedeutete; nicht zum ersten Mal hörte er diese Schritte im Zug. Er beugte den Kopf vor und blickte durch den nur halberhellten Wagen. Am anderen Ende, wo die Wand abbricht und zum Abteil erster Klasse zurückführt, bemerkte er für eine Sekunde seinen wie üblich nackten Rücken - nur für eine Sekunde gewahrte er seinen gekrümmten, schweißtriefenden Körper.

Boron erbebte: der Schmutzkerl war wieder im Zug erschienen.

Zum ersten Mal hatte er ihn vor zwanzig Jahren entdeckt: eine Stunde vor der schrecklichen Katastrophe zwischen Znicz und Ksiezy Gaje, wo mehr als vierzig Personen ums Leben kamen, die große Zahl der Verletzten nicht gerechnet. Der Schaffner war damals dreißig Jahre alt gewesen und hatte noch starke Nerven gehabt. Er erinnerte sich genau an alle Einzelheiten, sogar an die Nummer des Unglückszuges. Damals betreute er die letzten Wagen und war vielleicht deswegen davongekommen. Stolz auf die frisch erhaltene Beförderung, brachte er in einem der Abteile seine Verlobte nach Hause, die arme Kasia, eines der Opfer des Unglücks. Er erinnerte sich noch, wie er im Gespräch mit ihr plötzlich eine seltsame Unruhe spürte: irgend etwas zog ihn mit Macht auf den Gang. Ohne dem widerstehen zu können, ging er hinaus. Da erblickte er am Ende des Gangs die gerade verschwindende Gestalt des nackten Riesen; sein rußbeschmierter, von schmutzigem Schweiß triefender Körper gab einen stickigen Geruch von sich: es stank nach Fenchel, Kohlenrauch und Wagenschmiere.

Boron stürzte ihm nach und wollte ihn ergreifen, doch die Erscheinung zerfloß vor seinen Augen. Er hörte nur noch das Schreiten nackter Sohlen auf dem Fußboden - dum, dum, dum - dum, dum, dum. Eine Stunde später prallte der Zug auf den Eilzug, der ihm aus Ksiezy Gaje entgegenkam. - Stefan Grabinski, Das Abstellgleis. Frankfurt am Main 1971 (Insel, Bibliothek des Hauses Usher, zuerst 1953)

Kerl

 

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