chminken  Einst wurden die Motive tätowiert oder gemalt; nur die letztere Methode ist erhalten geblieben. Die Malerin arbeitet auf dem Gesicht oder dem Körper einer Gefährtin, manchmal auch eines Knaben; bei den Männern geht dieser Brauch schneller verloren. Mit einem feinen Bambusspatel, der in den Saft des genipapo - einer anfangs farblosen Flüssigkeit, die jedoch durch Oxydierung eine blauschwarze Tönung annimmt - getaucht wird, improvisiert die Künstlerin am lebenden Modell: ohne Vorlage, ohne Skizze, ohne Anhaltspunkte. Sie schmückt die Oberlippe mit einem bogenförmigen Motiv, das an den beiden Enden in Spiralen ausläuft; dann teilt sie das Gesicht mit Hilfe einer vertikalen, zuweilen auch horizontalen Linie. Die gevierte, gespaltene - oder auch schräg geteilte - Fläche wird nun großzügig mit Arabesken verziert, die keine Rücksicht auf die Lage der Augen, der Nase, der Wangen, der Stirn oder des Kinns nehmen, sondern sich ausbreiten wie auf einem flachen Feld. Diese geschickten, asymmetrischen und dennoch das Gleichgewicht wahrenden Kompositionen beginnen an einem beliebigen Punkt und werden in einem Zug, ohne Zögern und ohne Unterbrechung zu Ende geführt. Sie zeigen relativ einfache Motive wie Spiralen, S-Formen, Kreuze, durchbrochene Rauten, Mäander und Schnecken, die jedoch so miteinander kombiniert werden, daß jedes einzelne Werk einen besonderen Charakter besitzt. Von den vierhundert Zeichnungen, die ich 1955 gesammelt habe, gibt es nicht zwei, die einander ähneln, doch da ich beim Vergleich meiner Kollektion mit der später entstandenen das Umgekehrte feststellte, kam ich zu dem Schluß, daß das außerordentlich große Repertoire der Künstlerinnen trotz allem von der Tradition bestimmt ist. Leider ist es weder mir noch meinen Nachfolgern gelungen, die dieser Eingeborenen-Stilistik zugrunde liegende Theorie zu erfassen: die Informanten geben zwar einige Anhaltspunkte in bezug auf die einfachsten Motive, schützen jedoch Unwissenheit oder Vergessen vor, sobald es sich um kompliziertere Verzierungen handelt. Mag sein, daß sie tatsächlich nur auf der Grundlage eines empirischen Wissens zu Werke gehen, das von Generation zu Generation überliefert wird; mag sein, daß sie Wert darauf legen, das Geheimnis ihrer Kunst zu wahren.

Heute bemalen sich die Caduveo nur noch zum Vergnügen; aber früher hatte dieser Brauch eine tiefere Bedeutung. Nach dem Zeugnis von Sanchez Labrador bemalten sich die adligen Kasten nur die Stirn, einzig der gemeine Mann verzierte sich das ganze Gesicht; außerdem gingen zu jener Zeit nur die jungen Frauen mit der Mode: »Es kommt selten vor«, schreibt er, »daß die alten Frauen ihre Zeit mit derlei Zeichnungen vergeuden; sie begnügen sich mit denjenigen, welche die Jahre auf ihr Gesicht gegraben haben.« Der Missionar ist entsetzt über diese Geringschätzung für das Werk des Schöpfers; warum verändern die Eingeborenen das menschliche Gesicht? Er sucht nach Erklärungen: wollen sie den Hunger vergessen, wenn sie stundenlang ihre Arabesken zeichnen? Oder wollen sie sich den Feinden unkenntlich machen? Was immer er sich vorstellt, alles dreht sich um Betrug! Warum? Wie sehr der Missionar diese Malereien auch verabscheut, sogar er ist sich bewußt, daß sie für die Eingeborenen eine ungeheure Bedeutung besitzen und in gewissem Sinn ein Ziel an sich darstellen. So tadelt er diese Menschen, die viele Tage mit Malen verlieren und darüber Jagd, Fischfang und Familie vergessen. »Warum seid ihr so dumm?« fragten die Eingeborenen die Missionare. »Warum sollen wir dumm sein?« fragten diese zurück. »Weil ihr euch nicht bemalt wie die Eyiguayeguis.« Man mußte bemalt sein, um ein Mensch zu sein: derjenige, der im Naturzustand verharrte, unterschied sich in nichts vom Tier.

Es besteht kaum ein Zweifel, daß sich das Fortleben dieses Brauchs bei den Frauen durch erotische Überlegungen erklärt. Der Ruf der Caduveo-Frauen ist auf beiden Ufern des Rio Paraguay fest verankert. Viele Mestizen und Indianer anderer Stämme kamen früher nach Naiike, um sich hier niederzulassen und zu heiraten. Die Gesichts- und Körperbemalungen erklären vielleicht diese Anziehungskraft, jedenfalls verstärken und symbolisieren sie sie. Diese zarten subtilen Striche, ebenso beweglich wie die Linien des Gesichts, welche sie manchmal betonen, manchmal verraten, verleihen der Frau etwas herrlich Herausforderndes. Diese pikturale Chirurgie verpflanzt die Kunst auf den menschlichen Körper. Und wenn Sanchez Labrador ängstlich beteuert, daß damit »der Anmut der Natur eine künstliche Häßlichkeit aufgepfropft« werde, widerspricht er sich selbst, denn ein paar Zeilen weiter bemerkt er, daß selbst die schönsten Wandteppiche Europas sich nicht mit diesen Malereien messen könnten. Wohl niemals ist die erotische Wirkung des Schminkens so systematisch und bewußt ausgenutzt worden. - (str2)

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