chmerzempfindlichkeit   «Er wurde eigentlich nicht getötet,»  sagte Hoke. «Er hat einen Kerl mit einer Lederjacke angesprochen. Der Typ hat ihm den Finger umgeknickt und gebrochen und ist dann davonspaziert und verschwunden. Der Krishna ging in die Knie, fing an zu schreien, und fünf oder sechs Minuten später war er tot. Die Sicherheitsleute haben die Leiche hier hereingebracht, der PR-Mann hat uns angerufen. So sieht's aus - der Krishna ist an einem gebrochenen Finger gestorben. Was sagen Sie dazu, Miss Nygren? Ein Tötungsdelikt oder nicht?»

«Ich hab noch nie gehört, daß jemand an einem gebrochenen Finger gestorben ist», antwortete sie.

«Er muß am Schock gestorben sein», meinte Doc Evans. «Sicher kann ich es Ihnen sagen, wenn ich ihn angesehen habe. Wie alt ist er, Hoke?»

«Einundzwanzig- laut seinem Führerschein.»

«Ich sag's ja.» Doc Evans preßte die Lippen zusammen. «Die jungen Leute von heute können einfach nicht mehr soviel Schmerz vertragen wie wir früher. Der hier war wahrscheinlich auch noch mangelhaft ernährt und miserabel in Form. Der Schmerz kam unerwartet und war einfach zuviel für ihn. Es tut höllisch weh, wenn einem der Finger umgeknickt wird.»

«Da sagen Sie was», meinte Violet Nygren. «Meine Brüder haben so was bei mir getan, als ich klein war.»

«Und wenn man den Finger ganz nach hinten biegt», fuhr Doc Evans fort, «bis er schließlich bricht - das ist ein geradezu saumäßiger Schmerz. Also fiel er vermutlich in einen Schock. Niemand hat ihm heißen Tee eingeflößt, niemand hat ihn mit einer Decke zugedeckt, und das war's dann. Es dauert nicht lange, bis man am Schock stirbt.»

«Fünf oder sechs Minuten, sagen die Brüder Peeples.»

«Das ist ziemlich flott.» Doc Evans schüttelte den Kopf. «Tod durch Schock tritt meistens nach fünfzehn bis zwanzig Minuten ein. Aber ich will mich nicht weiter in Vermutungen ergehen. Bevor ich mir die Leiche angesehen habe, weiß ich gar nichts - er kann ja auch eine Kugel im Leib haben.»

«Glaube ich nicht», meinte Bill Henderson. «Ich hab nur den gebrochenen Finger gesehen, und der ist glatt durchgebrochen - baumelt bloß sorum.»

«Wenn es ein Unfall war», sagte Violet Nygren, «handelt es sich vielleicht nur um Körperverletzung. Andererseits - wenn der Mann in der Lederjacke die Absicht hatte, ihn auf diese Weise zu toten, weil er wußte, daß es beispielsweise in der Familie dieses Krishna-Jüngers schon vorgekommen ist, daß Leute am Schock gestorben sind, dann ist es unter Umständen Mord.»

«Das ist ein bißchen weit hergeholt», meinte Hoke. «Ich schätze, Sie werden sich mit Körperverletzung mit Todesfolge zufriedengeben müssen.»   - Charles Willeford, Miami Blues. Reinbek bei Hamburg 1994