chlangestehen Ein
Trinker-Ehepaar im Kaufhaus Quelle steht in der Schlange vor der Kasse an. Der
Mann hält sich grummelnd und zu Boden blickend an der Seite seiner Frau. Diese
kneift mehrmals ohne äußere Veranlassung das rechte Auge kräftig zu, als teile
sie mit einem Unsichtbaren ein frivoles Geheimnis. Die gestörten Nerven spielen
ein kurzes, immer wiederkehrendes Programm. In geringen Abständen wirft sie,
von einem automatischen Entsetzen angetrieben, knapp den Kopf herum und lächelt
dann ebenso freundlich wie angstverzerrt in eine Richtung, wo gar niemand ist
und woher auch kein Anruf an sie erging. Ein flatterhaftes Drama läuft über
ihr gerötetes, gedunsenes, schuppiges Gesicht, ausgelöst allein durch das bedrängte
Schlangestehen, die enge Stellung unter fremden Menschen. Das Lächeln, die Scherben
eines Lächelns scheinen nach allen Seiten hinein Zuviel der Bedrängung freundlich
abzuwehren. Der Mund mit strahlender Grimasse entblößt eine von links nach rechts
immer niedriger und löchriger werdende Zahnstummelreihe. Sie hat einen sehr
großen zitronengelben Wecker eingekauft. Wozu sich wecken? -
Botho Strauß, Paare, Passanten. München 1984 (dtv 10250, zuerst 1981)
Schlangestehen (2) »Angestanden haben sie«, erklärt uns im Flüsterton die Likörfabrikantin, während die Rothaarige immer noch schweigt. »Einer hat auf den anderen gewartet. Sie sagt, es sind mindestens zwanzig gewesen, aber genau weiß sie es nicht. Sie hat beinah alles allein abgekriegt. Die andere Frau war nicht wohl.«
Ich starre die Elvira an. Aus ihrem käsigen Gesicht hängt der verschwollene Mund wie eine blaue Pflaume. »Zeig es ihnen mal«, sagt die Hausfrau. Wortlos öffnet die Rothaarige ihre Bluse, zeigt uns ihre zerbissenen, verfärbten Brüste. Kann's kaum hinschreiben, es würgt mich wieder.
Wir ließen ihr den Rest Vaseline da. Sagen kann man da nichts. Wir haben
auch nichts zu ihr gesagt. Aber sie fing von selbst an zu reden, es war kaum
zu verstehen, ihre Lippen waren so verschwollen. »Hab gebetet dabei«, so etwa
sagte sie, »immer gebetet: Lieber Gott, ich danke dir, daß ich besoffen bin.«
Denn ehe die Burschen sich zur Schlange formten, haben sie die Frau ordentlich
vollgefüllt mit dem, was sie an Ort und Stelle fanden, haben ihr auch zwischendurch
wieder zu trinken gegeben. - Anonyma, Eine Frau in Berlin. Tagebuch-Aufzeichnungen
vom 20. April bis 22. Juni 1945. Berlin 2005 (zuerst 1954)
Schlangestehen
(3) Auf dem College standen auf einer Party
unserer Verbindung die Typen bei einer Prostituierten vor dem Schlafzimmer Schlange.
Ich hatte inzwischen meine Jungfräulichkeit verloren, aber als ich an die Reihe
kam, sagte ich, daß mir nicht danach wäre. Es war eine Lüge. Ich wollte nichts
lieber, als in dieses Zimmer gehen, aber ich wußte nicht, was ich tun sollte,
wenn ich drinnen war, was ich sagen sollte. Sollte ich sie küssen? Sollte ich
sie anschauen? Im College und in der High-School hatte ich keine Freundin. Manchmal
lernte ich eine Frau auf einer Party oder an einer Bar kennen und wir hatten
Sex miteinander, aber meist waren die Frauen unerfahren, und der Sex war nicht
besonders gut. Um die Geschichte etwas spannender zu machen, stellte ich mir
vor, sie sei eine Prostituierte, die ich gerade an der Straßenecke angesprochen
hatte. Das machte mich ziemlich an. -
Jason Starr, Top Job. München 2006 (SZ Kriminalbibliothek 31)
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- Georges Pichard
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