chlangenmaul  »Mit einem Wort«, so die Konklusion meines Vaters, »wir wollen den Menschen ein zweites Mal erschaffen, nach dem Ebenbild der Schneiderpuppe.«

Hier müssen wir um der getreuen Wiedergabe willen von einem winzigen und belanglosen Zwischenfall berichten, der sich an diesem Punkt des Vortrags ereignete und dem wir keinerlei Gewicht beimessen. Der Zwischenfall, gänzlich unverständlich und sinnlos in dieser Abfolge der Ereignisse, läßt sich wohl als ein Relikt eines Automatismus ohne Antezedenzien und Konsequenzen erklären, als eine Tücke des Objekts, übertragen auf das Gebiet der Psyche. Wir raten dem Leser, ihn ebenso leichthin zu ignorieren, wie wir es tun. Folgendes geschah:

In dem Moment, in dem mein Vater das Wort »Schneiderpuppe« aussprach, sah Adela auf die Armbanduhr und tauschte dann mit Polda einen vielsagenden Blick. Jetzt schob sie sich auf dem Stuhl eine Spanne weit nach vorn, hob den Saum des Kleides, streckte langsam den mit schwarzer Seide überzogenen Fuß vor und richtete ihn auf wie ein kleines Schlangenmaul.

So saß sie während der ganzen Szene völlig starr zwischen Polda und Paulina, mit großen, flatternden, vom Glanz des Atropins vertieften Azuraugen. Alle drei blickten mit aufgerissenen Augen auf meinen Vater. Mein Vater räusperte sich, verstummte, beugte sich vor und wurde plötzlich hochrot. In einem Augenblick verschloß sich die Lineatur seines soeben noch aufgewühlten und vibrierenden Gesichts hinter gedemütigten Zügen.

Er — der verzückte Häresiarch, kaum dem Sturm seiner Ekstase entronnen - sank plötzlich in sich zusammen, er knickte ein und wand sich. Doch vielleicht war er nur gegen einen anderen ausgetauscht wortien. Dieser andere saß steif und hochrot mit gesenkten Lidern da. Fräulein Polda trat auf ihn zu und beugte sich über ihn. Sie tätschelte ihm den Rücken und sprach sanft ermunternd: »Jakub wird vernünftig sein, Jakub wird gehorsam sein, Jakub wird nicht trotzig sein. Na, also ... Jakub, Jakub ...«

Adelas aufgerecktes Schühchen bebte leicht und glitzerte wie das Zünglein einer Schlange. Mein Vater erhob sich langsam mit gesenkten Lidern, tat einen Schritt nach vorne wie ein Automat und fiel auf die Knie. Die Lampe zischelte in der Stille, im Dickicht der Tapeten flogen vielsagende Blicke hin und her, das huschende Getuschel giftiger Zungen, das Zickzack der Gedanken ...    - Bruno Schulz, Traktat über die Schneiderpuppen oder Das zweite Buch Genesis. Nach (bs2)