chlangengeräusch Wenn
wir es wagen anzunehmen, daß dieses glatte und glitschige Geräusch von einem
Kriechtier stammt, dann werden wir, nicht ohne Verwunderung, auch zugeben müssen,
daß es in keiner Weise flieht, sondern vielmehr eine Karte zeichnet, vielleicht
mit seinen Körpersekreten eine Kartographie des Dorfes spendet, das es womöglich
- aber das ist nur eine Vermutung - als sein eigenes betrachtet, wahrscheinlich
nicht ohne irgendeine schurkische Berechtigung, oder auch eine nicht schurkische,
zumal das Dorf gewiß ein unfreundlicher Ort ist, der für sein Fortbestehen oder
wenigstens zu seiner Rechtfertigung irgendeiner Macht oder Hoheitsgewalt bedarf.
Es paßt aber nicht in eure Denkart, daß eine Schlange Monarch sein kann; weshalb
wir annehmen, daß die Schlange zwar König ist, aber davon keine Kenntnis hat;
weshalb es im Inneren des Dorfes Regeln geben muß, die ohne das Wissen derer
walten, die ihre Akteure ja Protagonisten sind; weshalb sogar du nichts davon
weißt, der du nie richtig im Herzen des Dorfs bist, das nicht wagt, enigmatisch
zu sein. Doch freilich, selbst wenn wir annähmen, es gebe in jenem Dorf eine
Schlange, und zwar nur eine, und diese sei König, müßten wir notgedrungen auf
die Bizarrerie dieses Lügenmärchens stoßen, denn wie können wir behaupten, diese
Schlange sei eine, und zwar eine allein? Und wenn es nicht nur eine wäre, dann
müßten wir die verschlungenen Wege der Schlange, der Schlangen hören, es müßte
da eine Art reptilischer Stadt geben, nicht nur von schleichenden Geräuschen,
sondern auch von Zischen und Schnalzen und schnarrenden Schlägen erfüllt. Aber
dann wäre die Schlange nicht König, außer es gäbe einen Königshof, doch ein
Königshof kann nicht anders sein als lärmend; kurzum, in jenem Dorf scheint
eine einsame Schlange geistig nicht unmöglich, auch wenn uns aus dem gewöhnlichen
Märchen - es sei denn um uns zu täuschen oder zu erschrecken - keine schmächtigen
und schurkischen und zugleich königlichen und einsamen Schlangen bekannt sind,
die hingegeben ein nicht einmal serpenteskes Dorf regieren. Und nochmals: ist
dieses Rutschen nicht eher ein wenig Sand, den der
Wind im genachteten Dorf von Haus zu Haus treibt? - Giorgio Manganelli,
Geräusche oder Stimmen. Berlin 1989