Die saß still und bequem in ihrem Stuhle und sah aus ruhigen Augen dem Beschauer gerade ins Gesicht. Ein merkwürdiger Blick! Etwas Schlangenartiges, Magnetisches lag darin. Und der halbgeschlossene Mund, das war ein rätselhafter Zug, der ihn umspielte: Versprechen, Locken, Spott? Wer mag diese Lady gewesen sein? Er überflog wieder das durchsichtige blau und weiß gestreifte Seidenkleid, vorne ein wenig zurückgeschlagen, daß das spitzenbesetzte Untergewand kokett hervorlugte-, die feinen langen Hände, die lässig gefaltet im Schoße ruhten und mit zarten Fingern den gelben Strohhut hielten und fühlte wieder den Zwang der grünen Schlangenaugen, mußte den Blick zu ihnen wenden; und diesmal irrte er so rasch nicht wieder ab. Denn wenn auch alles Übrige nur Leinwand und Ölfarbe ist, in diesen Augentiefen sitzt lebendiges Fühlen, huscht über die Stirn, spielt um den Mund, durchglüht nun die ganze Gestalt. Sie atmet, lächelt, spricht. Leise, ganz leise, kaum vernehmbar: »Johannistag!«
»Ja, Johannistag: Und alle bösen Geister sind heute frei.«
Wo kam die Antwort her? - Heinrich
Vogel, Das Bild in der Tate Gallerie.
In: Jenseits der Träume. Seltsame Geschichten vom Anfang des Jahrhunderts. Hg.
Robert N. Bloch. Fankfurt am Main 1990 (st 1595, zuerst 1921)
Der Versuch zu einer Skizze seines Charakterbildes muß sich also an bezeugten Handlungen und Verhaltensweisen orientieren und kann über eine Zusammenfassung des im Laufe der vorliegenden Darstellung Vorgebrachten kaum hinausgehen.
Da finden sich neben der Freude an festlichem Luxus und exotischer Pracht, heiterer Gesprächigkeit, bezaubernder Liebenswürdigkeit: sarkastische Ironie, erschreckende Kälte, ungestüme Grausamkeit, die ihm vielleicht von seinen normannischen Vorfahren überkommen war; neben strengster Selbstdisziplin und durchdringender, überlegener Geistigkeit jähe Zornanfälle und Bekundungen stärkster Sinnlichkeit. Schwer auflösbar und deutbar bleibt ferner der Gegensatz von freigeistiger Skepsis und Ungläubigkeit gegenüber kirchlichen Dogmen und zeitbedingten Vorurteilen einerseits und seiner lebenslang aufrechterhaltenen Überzeugung von der Gottunmittelbarkeit des Kaisertums andererseits.
Das führt in die Widerspräche seiner politischen Haltung: der letzte Vertreter
der hochmittelalterlichen imperialen Staatsauffassung ist zugleich der Begründer
des ersten autonomen weltlichen Staates auf abendländischem Boden mit allen
Vorzeichen moderner Diktaturen. Der Gründer einer sarazenischen Leibtruppe,
der geistvolle, wissensdurstigc, gelehrte Gesprächspartner islamischer und jüdischer
Philosophen und Theologen verfolgt Ketzer und Abtrünnige mit grausamsten Methoden
der Inquisition. Der Mann, der nicht an die Unsterblichkeit der Seele - von
anderen christlichen Lehrmeinungen zu schweigen - glaubt, der den Papst als
Widersacher Christi hinstellt, ist von der gottgewollten Zuordnung von Kirche
und Reich als der beiden universalen Mächte durchdrungen und davon auch in den
letzten gegenseitigen Vernichtungskämpfen nicht abzubringen. Ausgestattet mit
nüchternem Wirklichkeitssinn, hält er gleichwohl an geschichtlich überholten
Positionen und Anschauungen fest. Der Vorläufer der Renaissance und «erste moderne
Mensch auf dem Thron» (Jacob Burckhardt) führt sich in manchem wie ein orientalischer
Despot auf und stirbt wie ein rechtgläubiger katholischer Fürst. - Herbert Nette, Friedrich II. von Hohenstaufen.
Reinbek bei Hamburg 1975
Schlangenblick (3)
Schlangenblick (4)
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