Schlange, kluge   »Schau! Schau!« Kim sprang zu ihm hin und zerrte ihn rückwärts. Ein gelb und brauner Streifen glitt aus den purpurfarbenen raschelnden Stauden ans Ufer, streckte den Hals zum Wasser, trank und lag - eine große Kobra, mit unbeweglichen, lidlosen Augen.

»Ich hab' keinen Stock - ich hab' keinen Stock«, sagte Kim. »Ich will mir einen holen und ihr den Rücken brechen.«

»Warum? Sie ist auf dem Rade, wie wir es sind - ein aufwärts oder abwärts steigendes Leben - sehr weit entfernt von der Befreiung. Große Sünde muß die Seele begangen haben, die in solche Gestalt gebannt ist.«

»Ich hasse alle Schlangen«, sagte Kim. Kein Aufwachsen im Land kann den Abscheu des weißen Menschen vor Schlangen mildern.

»Laß sie ihr Leben ausleben.« Das geringelte Ding zischte und öffnete seine Haube halb. »Möge deine Erlösung bald kommen, Bruder!« fuhr der Lama sänftiglich fort. »Hast du zufällig Kenntnis von meinem Fluß?«

»Niemals sah ich einen Mann, wie du bist«, flüsterte Kim, überwältigt. »Verstehen die Schlangen selbst deine Sprache?«

»Wer weiß?« Er ging nur einen Fußbreit am erhobenen Kopf der Kobra vorbei, der sich alsbald flach in die staubigen Ringe schob.

»Komm du!« rief er über seine Schulter.

»Ich nicht«, antwortete Kim. »Ich gehe um sie herum.«

»Komm! Sie tut dir nichts.«

Kim zögerte einen Augenblick. Der Lama half seiner Aufforderung nach durch ein summend gesprochenes chinesisches Zitat, das Kim für eine Zauberformel nahm. Er gehorchte, sprang über den Bach, und die Schlange rührte sich wirklich nicht.   - Rudyard Kipling, Kim. Nach (ki)

Schlange Klugheit

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