chläfen
Wenn man erwägt, daß, den neuesten Untersuchungen zufolge, die
Schädel der Idioten, wie auch der Neger, allein in der Breitendimension,
also von Schläfe zu Schläfe, durchgängig gegen andere Schädel zurückstehn,
und daß, im Gegentheil, große Denker ungewöhnlich breite Köpfe haben, wovon
sogar Plato's Namen abgeleitet wird; -
wenn man ferner dazu nimmt, daß das Weißwerden der Haare, welches mehr
die Folge der Geistesanstrengung, wie auch des Grams, als des Alters ist,
- von den Schläfen auszugehn pflegt, und sogar ein Spanisches Sprichwort
sagt: canas son, que no lunares, cuando comienzan por los aladares
(weiße Haare sind kein Makel, wann sie an den Schläfen anfangen); - so
wird man zu der Vermuthung geführt, daß der unter der Schläfengegend liegende
Theil des Gehirns der beim Denken vorzugsweise thätige sei. - Vielleicht
wird man einst eine wahre Kraniologie [Schädellehre] aufstellen können,
die aber dann ganz anders lauten wird, als die Gall'sche,
mit ihrer so plumpen, wie absurden psychologischen Grundlage und ihrer
Annahme von Gehirnorganen für moralische Eigenschaften. - Uebrigens ist
das graue und weiße Haar für den Menschen, was für
die Bäume das rothe und gelbe Laub im Oktober, und
Beides nimmt sich oft recht gut aus; nur darf kein Ausfall hinzugekommen
seyn. - (
schop
)
Schläfen
(2) Schläfe heißt eigentlich das Dünne, dünnste
Haut des Schädels, diese Entzückung : man sieht mit der Schläfe, man schläft
auf der Schläfe, schlafe auf meiner rechtsseitigen Schläfe, kauere mich auf
meiner rechtsseitigen Schläfe zusammen, ich kehre mich auf die rechtsseitige
Schläfe, auf dem kl. Kissen, Kopf- oder Schläfenpolster, sehr dünn, von daher
kommen die Träume, ich glaube, von der rechten Schläfe,
daß da die guten Träume kommen, von der linken Schläfe, daß da die schrecklichen
Träume kommen, ich liege 1 ganze Nacht an deinem Herzen, sage ich zu EJ,
ich liege 1 ganze Nacht an deinem Herzen mit meiner rechten Schläfe, mit meiner
rechten Schläfe ruhe ich an deinem Herzen, sage ich, also Auferstehung der Füße,
dann der Erstickungsanfall am Morgen, sage ich, hatte mich heiser geschrien
bei diesem Erstickungsanfall, bekam keine Luft mehr, Sie müssen sich beim Trinken
Zeit lassen, sagt der Arzt, Sie müssen den Kopf hinunterdrücken beim Schlucken,
sagt der Arzt, also Sie müssen mit gesenktem Kopf trinken wie die Tiere, und
was die Schwindelanfälle betrifft, sagt der Arzt, müssen Sie Ihre Schritte
ganz bewußt setzen, Sie müssen sich vorstellen, an Ihren Knien seien Lichtquellen
angebracht, Ihre Knie müssen immer gerade nach vorn gerichtet
sein, usw. - Friederike Mayröcker, Die kommunizierenden
Gefäße. Frankfurt am Main 2003 (es 2444)
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