Schlachtbeschreibung  Schleifenheimer versetzte, dieses Geld mein' er auch nicht, sondern das andere, das der Apotheker, sein alter Todfeind, der auf der Leiter bei ihm eingebrochen, noch müsse in der Tasche haben.

In diese wollte der Scherge fahren, aber Marggraf, der Apotheker,  entzog ihm mit der Linken den Alpenstock, mit welchem der Trunkne besser stehen wollte, und brachte auf seiner Stirn mit der langen Geldstange den hinlänglichen Windstoß zum Umfallen an. Jetzt nun begann das Treffen, und ich glaube nicht, daß ich je ein hitzigeres beschrieben, oder auch Napoleon im Moniteur; man sieht aber, was Menschenkräfte vermögen, wenn sie sich aufmachen.

Anfangs der Schlacht bei Rom - so heißt sie allgemein - war der Feind dreimal so stark und bestand aus dem Nachtwächter, dem Unteraufschläger und dem Schergen, der mit seinem ganzen umgeworfnen Körper oder corps den Boden besetzte oder belegte. Marggraf war bloß so stark wie er selber; denn der Schächter mit seinem Sommerdegen war kaum für eine bewaffnete Neutralität anzusehen. Mit dem linken Flügel konnte der Apotheker, weil er ihn bloß in der Linken hielt, nämlich mit dem Alpenstock, nur schwach operieren und ihn wenig oder nicht entfalten; ja es mußte ihm genug sein, damit das Ochsenhorn des Nachtwächters zu beobachten und abzuhalten, welcher nicht mit der Spitze des Horns, wie die Stirn des ersten Besitzers, sondern mit dem stumpfen weiten Ende die Ausfälle tat und sehr geschickt es so gut zu Hieb als zu Stoß, folglich sowohl gegen Schultern als gegen Bauch zu führen wußte.

Aber mit dem rechten Flügel, in der rechten Hand, mit der Kreuzerstange, hieb er schnell auf alle Glieder des Schleifenheimerschen Gesichtes unter beständigem Rufen ein: «Da, da, nimm das Geld, da stiehl's, du Lügner, du ewiger verfluchter Todfeind!» - Dieser suchte still bloß die Rechte des Apothekers zu entwaffnen und fing unaufhörlich nach dem Stoßgewehr, um dessen Spitze abzubrechen. Der Häscher fiel dem Apotheker statt in den Rücken gar in die Fersen und suchte ihn daran zur Niederlage zu nötigen. Der Nachtwächter setzte sich in den Besitz seines linken Arms, welcher den Stock leitete, (der ganze linke Flügel wurde dadurch untätig gemacht) und wollte ihn als Krieg-gefangenen fortführen: als Marggraf zwischen zwei Feuern - dem Miniercorps des Schergen unten und der Seitenbewegung des Nachtwächters oben - mit einer Tapferkeit focht, daß der letzte ein gläsernes Auge einbüßte und wie die größten Feldherrn, Ziska, Hannibal, Bajazeth, Philippus, nur einäugig kommandierte - und daß aus des Unteraufschlägers Nasenlöchern, die dem Stangenkanaster der Geldrolle am stärksten ausgesetzt waren, Blutbäche flössen, welche sich am Kinne zu einem roten Judas-Spitzbärtchen paarten - und daß er selber, unbekümmert, was er am Häscher ertrete, mit den Füßen vorrückte, dabei grimmig rufend: «O ihr Sünder sämtlich! Wollt' ich doch heute so liebreich sein und Gott Dank bringen - und ihr setzt mich hier in solche verfluchte Teufelswut, ihr Teufel, ihr Unmenschen, ihr Unchristen!»

Noch schwankte gänzlich der Sieg. Der Schächter Hoseas, der mit seinem Sommerdegen der Schlacht hätte, wie man glaubt, den Ausschlag zu geben vermocht, wollte durchaus nicht ziehen, um das verpfändete Mordgewehr nicht mit Menschenblut zu beflecken; nicht einmal mit der Scheide wollt' er ernsthaft dreinstechen und schlagen, weil er zu beschädigen fürchtete, nicht den Feind, sondern den Parisien. Ja als er endlich durch den Zorn des Häschers, der unten alles anpackte - bis sogar des Juden Schuhschnallen -, so weit gereizt und gewonnen war, daß er zur Verteidigung seiner Füße den Sommerdegen bei der Spitze ergriff und mit dem Gefäße plötzlich losbrach und über die Hände des Feindes herfiel: was waren die bedeutenden Folgen eines so späten Feld- und Nachzugs? Melden nicht alle uns bekannte Kriegberichte, daß der Häscher im Grimme das Degengefäß mit der Hand gefangen und die Scheidenspitze gewaltsam durch Hoseas mansche-sterne Hosen getrieben, so daß nicht nur der Jude geschrien: «Ich bin durchstochen», sondern auch der Häscher unten im Dummsein: «Hilfe! Der Hoseas hat mich erstochen»? - Aber sind dies die Siege, auf die ein Marggraf an seinem Diamanten-Triumphtage mit Ehren zählt?

Glücklicherweise war schon lange das Gerücht vom Anfange der Schlacht bei Rom in die Apotheke getragen worden. Der Stößer fuhr als Reserve heraus: Ruhiger folgte ihm der Hofstallmaler, welcher seinem Pudel die Laterne, womit das Tier gewöhnlich ihm vorlaufen mußte, vorher anhing und anzündete. -

Auch Süptitz war ziemlich gesetzt von weitem nachgegangen, hatte aber, sobald er das Gedränge der Anfälle auf den Apotheker wahrgenommen und daraus den Schluß abgezogen, daß dieser sich übermäßig wehren und um sich schlagen müßte, sich aus Schonung für ihn davongemacht, um nicht als Zeuge gegen seinen Wohltäter aufgerufen zu werden, wenn dieser der Übeltäter an irgend jemandes Gliedern geworden wäre.

Stoß stürzte sich mitten ins dickste Schlachtgetümmel und stellte darin im Kriegfeuer ein Lauffeuer vor - eine Lauferspinne - einen Schachspringer - einen Hopstänzer - einen Harttraber (zumal für den liegenden Schergen) - einen Hüpfpunkt (punctum saliens) - ein äußerst schnell hin- und herfliegendes corps war er, weil er sonst keine andern Kräfte hatte. Auch zu rühmen ist der Eifer, womit der Stallmaler zu den allertapfersten Taten anspornte mit den Worten: «Stößer, zugestoßen! - Nur aufgewichst! - Niemand geschont beim Henker!» Denn der Maler wollte recht lange das köstliche Schauspiel festhalten, daß der Pudel, der sein Laternenlicht wie eine Leuchtkugel auf das Schlachtfeld warf, durch den tiefen Stand seiner Nachtsonne am Halse eine ungewöhnliche malerische Beleuchtung auf alle gekreuzten kämpfenden Beine so wie auf den Mittelgrund, den Häscher, fallen ließ: - etwas Schöneres war Renovanzen nie vorgekommen, noch auf keinem Gemälde.

Aber Stoß - von zu schwacher Natur und zu kurzer Statur, keineswegs gewachsen den beiden langen Flügeln, dem Nachtwächter und dem Unteraufschläger (denn vom durchbrochnen, nämlich umgebrochnen Zentrum des Heers, vom Häscher, ist ja keine Rede) - merkte bald, daß er wenig erfechten würde, wenn er nicht, anstatt taktisch, ganz strategisch verführe. Es war also reine Strategie, daß er den Nachtwächter umging, bis er ihm in den Rücken und darauf in die Haare fallen konnte, welche letzte er durchaus behaupten und ziehen mußte, um ihn daran, indem er ihm zu gleicher Zeit mit der Handkante einen hinlänglichen Schlag auf den Obergang von der Nase zürn Mund erteilte, behend umzureißen. Schön wurde der strategische Plan ausgeführt. Den Unteraufschläger hingegen, dessen seidner Schlafrock ihm ungebunden entgegenflatterte, faßte er bloß an solchem an und benützte den langen Rock geschickt wie ein Seil, womit Holzhacker eine halb durchsägte Tanne nach einer bestimmten Seite hinzufallen zwingen; und suchte ihn rücklings neben den Nachtwächter zu legen; - was ihm jedoch nicht in einer solchen Schnelle gelungen wäre, daß er sogar selber ihm nachfiel, hätte nicht zur nämlichen Zeit der Apotheker glücklicherweise wieder mit dem Sturmbalken der Vierundzwanzigkreuzerstücke die Stirn des Aufschlägers berennt. Kriegverständige sehen ohne mein Erinnern, daß es ganz die vorige Strategetik war.

Noch aber war der Sieg nicht ganz entschieden, als herrlich und recht unverhofft der papierne Sturmbalken zerfuhr und alle die Stücke, womit er geladen war, die Vierundzwanzigkreuzerstücke, auf den liegenden Postzug von Kriegern schössen. Wieder ein neues Gefecht im Gefecht! Jeder vergaß alles, sich ausgenommen, und haschte - der Häscher, der, wie die Morgenstunde, einiges Gold oder Geld im offnen Munde hatte - der Nachtwächter - der Unteraufschläger besonders - sogar der Stößer, der dem Feinde nichts gönnte - auch der hosendurchstochne Hoseas bückte sich und erhob - mehrere Zuschauer streckten sich selber nieder, und der liegende Kriegschauplatz langte über den stehenden hinaus - Marggraf schüttelte gar den Stumpf von Vierundzwanzigern gleichgültig über die Silberhochzeitgäste herab und schritt unangetastet und hurtig davon.   - Jean Paul, Der Komet oder Nikolaus Marggraf. Eine komische Geschichte. Zürich 2002 (entst. ca. 1820-25)

 

Schlacht Beschreibung

 

  Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Synonyme