Schimpfnamen  «Es gibt Schimpfnamen, die sich auf körperliche Eigenschaften oder Fehler eines Menschen beziehen», sagte der Hauptmann. «Andere dagegen gelten moralischen Eigenschaften. Wieder andere rühren von einem bestimmten Ereignis oder einer Episode her. Und dann gibt es die erblichen Schimpfnamen, die auf eine ganze Familie ausgedehnt werden. Und die stehen sogar im Grundbuch... Aber wir wollen der Reihe nach vorgehen. Schimpfnamen, die körperliche Eigenschaften oder Fehler bedeuten. Die alltäglichsten: der Blinde, der Hinkefuß, der Lahme, der Linkspatsch ... Glich der Name, den Ihr Mann aussprach, einem solchen Namen?»

«Nein», sagte die Frau und schüttelte den Kopf.

«Ähnlichkeiten mit Tieren, mit Bäumen, mit Dingen. .. Zum Beispiel: Katze für einen Menschen, der graue Augen oder sonst was hat, das an eine Katze erinnert... Ich habe einen gekannt, der trug den Spitznamen lu chiuppu, die Pappel. Seiner Statur wegen, und weil er dauernd zitterte. So wurde mir das jedenfalls erklärt... Dinge... Wir wollen mal ein bißchen nach Spitznamen suchen, die sich auf die Ähnlichkeit mit einem Ding beziehen...»

«Ich kenne einen, der heißt Flasche», sagte der Wachtmeister, «weil er wirklich die Figur einer Flasche hat.»

«Wenn Sie gestatten», sagte der Carabiniere Sposito, der so reglos dagesessen hatte, daß er in dem Raum fast unsichtbar geworden war, «wenn Sie gestatten, kann ich ein paar solcher Schimpfnamen nennen, die die Namen von Dingen sind. Laterne heißt einer, dem die Augen vorstehen wie Lampen. Schmorbirne einer, der von wer weiß welcher Krankheit zermürbt ist. Vircuoco, Aprikose - ich weiß nicht, warum. Vielleicht, weil der ein ausdrucksloses Gesicht hat. Himmelshostie, weil der ein Gesicht, weiß und rund wie eine Hostie hat...»

Der Wachtmeister räusperte sich anzüglich. Er gestattete keine scherzhaften Anspielungen auf Menschen oder Dinge, die irgendwie mit der Religion zu tun hatten. Sposito verstummte.

Der Hauptmann schaute die Frau fragend an. Sie verneinte, schüttelte mehrmals den Kopf. Der Wachtmeister, dessen Augen zwischen den Lidern zu zwei wäßrigen Spalten geworden waren, beugte sich heftig vor, um sie anzuschauen. Und da sagte sie plötzlich, als sei der Name ihr mit einem jähen Schluckauf hochgekommen: «Zicchinetta.»

«Zecchinetta», übersetzte Sposito sofort, «ein Glücksspiel, das man mit sizilianischen Karten spielt...» Der Wachtmeister warf ihm einen wütenden Blick zu. Denn der Augenblick der Philologie war vorüber. Jetzt wußten sie den Namen. Und ob er ein Kartenspiel oder einen Paradiesesheiligen bedeutete, war unwichtig. (Und in seinem Kopf schrillten die Jagdsignale so laut und erregten ihn dermaßen, daß der Paradiesesheilige mit der Nase auf die sizilianischen Karten schlug.)   - Leonardo Sciascia, Der Tag der Eule. Zürich 1991

Schimpfnamen (2)  »Die hätten mich glatt zu fünf Jahren verdonnert«, sagte Hassan, »wenn ich nicht an einen anständigen Bullen geraten wäre.« Hassan geriet jedesmal, wenn er in die Scheiße trat, an einen anständigen Bullen. Seine Akte enthält eine drei Seiten lange Liste mit Schimpfnamen, die er sich wegen seiner bereitwilligen Zusammenarbeit mit der Polizei eingehandelt hat. Für die Bullen ist er einer, der »mitspielt«; für die aus der Branche ist er etwas anderes:

Ab, der Bullen-Verehrer; Der verstunkene Marv; Der quasselnde Jid; Ali der Spitzel; Der linke Sal; Der singende Kaffer; Der Itzig mit der hohen Stimme; Das Opernhaus in der Bronx; Der gute Geist vom Revier; Der Antwortdienst; Der quäkende Syrer; Der verschwiemelte Schwanzlutscher; Der musikalische Homo; Das verkehrte Arschloch; Der Schwule mit dem Schandmaul; Leary vom RD; Der flötende Kobold; Gertie das Klatschweib. - (lun)

 

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