childkrötenkopf
Es kommt mir vor wie früher Morgen. Noch ungestörter Vogelsang. Die Thujamauer,
die gegen Westen schützt, gerat an mehreren Stellen in gebärende Bewegung. Aber
nur an einer Stelle bohrt sich unter Rascheln und Rauschen ein Schildkrötenkopf
heraus. Dabei bleibt es, Vor der immerdunkelgrünen Wand ein Schildkrötenkopf.
"Wie angenagelt und bereit, Falada zu heißen. Aber bitte, ich bin kein
Gedächtnisverehrer, ich will mich nicht verbürgen für diese lausige Institution:
es kann auch Abend gewesen sein, als Falada so wortwörtlich erschien. Einen
Dr. Blagge, der sich wiederholt, kann man aus dem Gedächtnis herausmelken, naturrein
ohne Bedeutung, über den Schildkrötenkopf in der Thujawand läßt sich die selbstherrliche
Institution nicht befragen. Ihr ist der Schildkrötenkopf nichts als ein Wort
aus Wörtern. Was für Kopulationen haben da stattgefunden? Die Nabelschnur zum
Gewesenen flattert. Die Wörter richten sich auf und fressen Gras. Und weil ich
sowieso von der ganzen Gewesenheit nichts habe, kann ich es auch zulassen, daß
der Schildkrötenkopf quer im Maul ein Zuavenmesser trägt. Diese züngelnde Klinge
hilft mir sogar, die Schildkröte am Grinsen zu hindern. Dazu neigen ja Schildkröten
trotz aller Begabung für faladische Traurigkeit. Mich erinnert dieser Schildkrötenkopf
des züngelnden Zuavenmessers wegen, und weil er sich so durchs dichte Grün preßt,
an die Kämpfe, die bayerische Vorfahren unterm Raupenhelm in den heckendichten
Hopfengärten bei Weißenburg anno 70 so siegreich bestanden, daß ich Zuaven danach
nicht mehr geschichtlich erwähnt fand. Aber um mich an diese Metzelei im Hopfengarten
zu erinnern, erscheint, hoffe ich, kein Schildkrötenkopf mit Messer in Blomichs
Garten. Zweifellos ist Blomich gemeint. - Martin Walser, Das Einhorn. Frankfurt am Main
1966
Schildkrötenkopf (2)
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