Wie ich hinunterglitt die unbewegten Flüsse, Ich sorgte um all die Mannschaft mich nicht, befrachtet In der furchtbaren Wut der plätschernden Gezeiten, Meinem Erwachen im Meer gab der Sturm den Segen, Viel süßer als der herben Äpfel
Fleisch dem Kinde, Und seitdem hab ich gebadet im Meergedichte Wo plötzlich, unter des Mittags brünstigen Feiern Ich weiß die Himmel, platzend von Blitzen,
das Schnauben Ich hab geträumt die grüne Nacht: Schnees Grelle, Ich folgte Monde lang den Wogen, wie sie spien, Ich stieß, wißt ihr‘s? an Floridas seltsame Räume, Die Sümpfe sah ich gären, große Netze, Gründe, Gletscher, Silbersonnen, Perlfluten, Himmelsessen! Gern wollt ich den Kindern diese Doraden weisen Zu Zeiten, märtyrmüd der Pole und der Zonen, Fast Insel, die ich schaukelte auf meinem Strande Jetzt, ich, verlornes Schiff im Haargeflecht der Rufe, Frei, rauchend, aus veilchenblauen Nebeln entstiegen, Ich, der ich lief, befleckt von elektrischen Schollen, Ich, der ich zitterte, hörte ich ächzen vom Weiten Ich durfte Sternenarchipele, Inseln schauen, Wenn in Europa ich ein Wasser noch begehre, Ich kann in eurer Mattigkeiten Bad, o Wellen |
Schiff, trunkenes (2) Es sei Dir vermeldet, daß der Magister und ich gestern morgen von Goslar aufgebrochen sind und jetzt bereits die Elbe hinabtreiben. Noch ist mir benommen zumute wie jemandem. der durch den engen Hals einer Flasche hindurchgeblasen ist. Es mag auch sein, daß die Gesellschaft des Magisters dazu das ihre tut, denn ich beobachtete schon in anderen Himmelsstrichen, daß wir uns zu einem Molekül verschwistern, das sich inmitten einer ein wenig aufgekräuselten Realität bewegt. Ich hatte als Kind ein ähnliches Gefühl, wenn ich über einen glühenden Ofen hinweg die Gegenstände im Zimmer zittern und schwimmen sah.
Schon in Ülzen erfaßte mich ein leichter Schwindel, als auf dem Bahnsteig eine alte Dame erschien, die unserer verstorbenen Großmutter in lächerlicher oder vielmehr schon in unerlaubter Weise ähnlich sah. Sie glich ihr nicht nur bis in die kleinen Bewegungen, sondern auch bis in die Pigmentflecke am Haaransatz, die ich als ein mir geläufiges Merkmal mit den Blicken sogleich aufsuchte. Obwohl ich weiß, daß die Frauen ihrer Sippe sich sehr ähnlich sehen, konnte ich doch dieser verblüffenden Reproduktion gegenüber die Befangenheit nicht abstreifen. Unsere arme Vernunft steht und fällt eben mit dem Satze der Identität.
Von unseren Bekannten wurden wir auf Hamburger Weise bewirtet, das heißt, reichlich und gut. Nach der üblichen Hühnerbrühe, die dort die Gelage beschließt, gingen wir mit unserem Gastfreund nach Haus, wo ich in der Bibliothek ein Bett für mich aufgeschlagen fand. Ich vertiefte mich dort noch ein wenig in das außerordentliche Geheimtagebuch des Sir Samuel Pepys und schlief dann ein. Beim ersten Lichte wurde ich durch Poltergeister geweckt - der Gastfreund und der Magister hatten noch einen Grog angesetzt und erprobten nun ihre Geschicklichkeit im Faustkampfe. Gerade hatte der Magister einen schönen Treffer erhalten, der ihm die Brille herunterriß, als sich eine Tür öffnete und die Tochter des Gastfreundes, ein Kind von zehn Jahren, den Tumult mit mehr erstaunten als erschrockenen Augen betrachtete. Diese Erscheinung stellte als ein übergeordnetes Prinzip sogleich die Ruhe wieder her, und darüber hinaus überraschte die kleine Person mich noch, indem sie von ihrer Tür aus einen Vorstoß gegen uns unternahm. Sie schwebte wie eine der Tänzerinnen in der Oper über das Parkett heran, erfreute mich durch einen magnetischen Händedruck und war ebenso schnell verschwunden, wie sie gekommen war.
Am Vormittag hatten wir dann viel zu tun. Zunächst mußte der Magister seine Brille wiederherstellen lassen, und dann gingen wir nach Devisen auf die Jagd. Der Magister behauptet, daß ethologische Studien und insbesondere eine genaue Kenntnis des Tabuwesens unentbehrlich seien, um diese Gelder ausfindig zu machen, über die der Drache Staat so eifersüchtig wacht. In der Tat bewunderte ich seine Gelehrsamkeit, denn nachdem er eine Zeitlang planlos durch Bankbüros und Wechselstuben geschritten war, auch mehrere Audienzen bei an der Sache ersichtlich unbeteiligten Leuten erwirkt hatte, zahlte ein Beamter, der schon seinen Schalter geschlossen hatte, uns beiden unversehens eine Summe norwegischer Kronen aus. Das Ganze paßte weniger in die Domäne der Finanzen als in die der Schlafwandelei. Seitdem ich aber unseren Freund mit stets dem gleichen Lächeln in der Via de l'Oro die Klausur eines Nonnenklosters durchbrechen oder in Leipzig in Filzpantoffeln zur Vorlesung gehen sah, wundert dergleichen mich nicht mehr. Auch war er mir von jeher gleichviel, ob er seinen letzten Fünfmarkschein als Lesezeichen in einen Schmöker legte, den er dann auf der Bibliothek ablieferte, oder ob er ohne Geld in der Tasche auf Reisen ging, von denen er dann mit Geld wiederkam - ein lebendiges Beispiel gegen die unbeschränkte Gültigkeit der ökonomischen Welt. Hinsichtlich der Gemütsruhe und der Überlegenheit des Menschen, der keinen Pfennig in der Tasche trägt, habe ich viel von ihm gelernt.
Bei diesem Hin und Her erfrischte uns ein gewaltiger Sturmwind, der durch die Straßen blies. Hüte und Schirme flogen durch die Luft, und Fahrräder wurden auf das Pflaster geweht. Den Magister erheiterte dieser Anblick sehr, und er fragte mich einige Male, ob ich schon je eine Stadt gesehen hätte, in der die Räder so umherflögen. Mit der skurrilen Frage traf er indessen den Gesamteindruck nicht übel, denn in Hamburg habe ich immer die Nähe eines wüsten Elementes verspürt, und das Stadtbild wirkt auf mich wie eine Reihe von Materialisationen, die ungefüge zusammengeschoben sind. Die Stadt steht noch in ihrem titanischen Alter, und ich habe schon viele vergnügliche Gänge in ihr getan.
Übrigens erscheint mir diese Frage auch aufschlußreich in bezug auf die rhetorischen Figuren, die der Magister anwendet. Er benutzt mit Vorliebe eine Unregelmäßigkeit oder einen verblüffenden Zug und legt ihn dem Ganzen als Eigenschaft bei. Dadurch erfährt dieses Ganze dann eine starke und oft beängstigende Veränderung.
Nachdem wir noch allerlei Überflüssiges eingekauft hatten, setzten wir
uns in ein Auto und fuhren zum Schiff. Den Kai, an dem unser Dampfer lag,
umhüllte ein dicker, grüner Geruch - nach Fischen, nach Tran und unbekannten
Zutaten. Er empfing uns als ein erstes Portal zu den fernen Küsten und
Fischgründen. - Ernst Jünger, Myrdun. Briefe aus Norwegen (6.
Juli 1935). München 1980 (dtv bibliothek kubin, zuerst 1943)
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