Scheiße schreien  Drei Bataillone der Garde und ein Bataillon der 3. Grenadiere schließen sich zu vier Karrées zusammen. Jedes besteht aus kaum fünfhundert Mann, lauter alten Soldaten, die kaltblütig und stumm wie auf dem Exerzierplatz im Takt der Kommandos ihre Waffe laden und abfeuern. Von allen Seiten umwogt sie der nachdrängende Feind, es ist, als ob das Gefälle von Mont-Saint-Jean mit seinen dichtgedrängten Truppen in langsames Rutschen geraten wäre und nun auf diese Handvoll eng aneinandergepreßter Franzosen herabflösse. Die feindliche Artillerie schießt mit Kartätschen in die Masse, die stoisch ihre Lücken schließt und nicht zurückweicht. Der Kaiser hat sich in die Mitte des ersten Karrees begeben und befiehlt den Rückzug auf Rosomme. Er selbst jagt mit Soult, Jérôme, Drouot und La Bédoyère im Galopp nach Belle-Alliance zurück. Langsam rücken die Karrées nach, sie marschieren rücklings, mit dem Gesicht zum Feind, und wie sehr sie auch zusammenschmelzen, sie schießen weiter, ruhig, regelmäßig, im Takt der Befehlsworte. Sie stolpern über ihre toten Kameraden, sie treten auf Sterbende. Wer von den Verwundeten noch Bewußtsein hat, wird in die Mitte genommen und mitgeschleppt. So ersteigen sie rückwärts, mit den langsamen Schritten von Blinden, den Hang von Belle-Alliance.

Aber schließlich sind nur noch die Reste eines Bataillons übrig, in deren Mitte der General Cambronne das Feuer leitet. Es sind kaum mehr als hundert Mann, die sich bald nicht mehr von der Stelle bewegen können, weil der Wall der Toten, der sich um sie gebildet hat, unübersteigbar geworden ist. Dichter und dichter rücken die Überlebenden zusammen und führen regelmäßig die Handgriffe des Ladens und des Feuerns aus. In der zunehmenden Dunkelheit werden die schweigenden Männer in ihren finsteren Bärenmützen immer schattenhafter, und gleich Schatten machen die schwarzen Lanzenreiter des Korps Braunschweig und Halketts Osnabrücker um sie die Runde. Eine reitende Batterie fährt auf, richtet eines ihrer Geschütze auf das Häuflein, lädt und entzündet die Lunte. Aber das Geschütz wird nicht abgefeuert. »Ergebt euch, Franzosen, ergebt euch!« Die Garden rühren sich nicht vom Fleck, immer noch feuern sie, immer noch hört man Cambronnes rauhe Kommandostimme, die das schnell spärlicher werdende Salvenfeuer leitet. Der englische Kanonier bläst auf die glimmende Lunte und nähert sie dem Zündloch seiner Kanone, aber Halkett fällt ihm in den Arm: ehe man sie bis auf den letzten Mann vernichtet, will er sie noch einmal anrufen: »Tapfere Garden, ergebt euch! Ihr seid verloren, ergebt euch endlich!« Aber Cambronne brüllt zurück: »Scheiße!«  - Friedrich Sieburg, Napoleon. Die hundert Tage. München  1966

NB Der Wahlspruch der Garde war "Die Garde stirbt, aber sie ergibt sich nicht"

 

Scheiße Schreien

 

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