cheideblick  Der tiefe Schmerz, beim Tode jedes befreundeten Wesens, entsteht aus dem Gefühle, daß in jedem Individuo etwas Unaussprechliches, ihm allein Eigenes und daher durchaus Unwiederbringliches liegt. Omne individuum ineffabile. [Jedes Einzelwesen ist unergründlich.] Dies gilt selbst vom thierischen Individuo, wo es am lebhaftesten Der empfinden wird, welcher zufällig ein geliebtes Thier tödtlich verletzt hat und nun seinen Scheideblick empfängt, welches einen herzzerreißenden Schmerz verursacht. - (schop)

Scheideblick (2)  

- George Grosz, nach: Lothar Fischer, G.G. in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek bei Hamburg 1976

Scheideblick (3) Da ich weiß, daß ich eines Tages wohl genötigt sein werde, sie zu töten, wende ich den Kopf, wenn ich an dem Kaninchenstall vorbeikomme, um nicht in Versuchung zu geraten, Riquet und Riquiqui zu streicheln. Lieber habe ich gar keine Beziehungen zu ihnen als die des Henkers zu seinem Opfer. Der letzte Blick Augustinens, ihrer Mutter, hat mir zu weh getan, als sie sich an mich drängte, um sich wie sonst liebkosen zu lassen, und ich sie bei den Hinterpfoten packte und mit Gewalt aus dem Leben beförderte. Mehr noch, dieses sanfte Auge, das mich eine Sekunde zuvor so freundlich angesehen hatte, sollte ich herausreißen, damit das Blut sich nicht in den Körper ergösse und das Fleisch recht schön weiß bliebe, und ich habe mich dazu hergegeben, mein Opfer zu verstümmeln: mit der Spitze eines Messers habe ich dem toten Tier die Augen ausgerissen, und jetzt noch läuft es mir kalt den Rücken herunter. - »Warum«, wird man mir entgegenhalten, »übernehmen Sie denn solche Geschäfte?« - Um sie nicht andern zu überlassen, die nicht die gleiche Sorgfalt walten ließen, ich meine, die gleiche Raschheit, den gleichen Respekt. Lieber erledige ich all dies kleine Volk selber mit einem Minimum an Grausamkeit. Und außerdem gefallt es mir, daß ich imstande bin, etwas zu tun, was mir zuwider ist, und es geschickt zu tun, sollten auch drei Dutzend alte Jungfern darüber mit den Zähnen knirschen, die sich selber gar kein Gewissen daraus machen, alles, was ihnen nahe kommt, von morgens bis abends zu quälen, nur ihren kleinen Hund nicht. - Marcel Jouhandeau, Das Leben und Sterben eines Hahns. Tiergeschichten. Stuttgart 1984 (zuerst 1947)

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