Scheich  Es stellte sich heraus, daß der völlig arabisch gekleidete und sich arabisch benehmende, würdige und leicht ergraute Scheich geborener Engländer sei. Doch liebte er es nicht, daran erinnert zu werden; er führte die Unterhaltung auf arabisch mittels Dolmetscher. Als er hörte, die Gesamtbesatzung der Korvette belaufe sich auf einhundertzwanzig Köpfe, entließ er als Abschiedsgeschenk die gleiche Anzahl dunkler Sklavinnen aus seinem „Magazin". Auch das durfte man nicht ablehnen, obwohl die Unterbringung in den Schiffsräumen, zumal bei im Klima jener Gefilde, mehr eng als genußreich war. Der Kapitän atmete auf, als er nach glücklicher Rückfahrt die „ebenholzfarbenen Engel" zu Bombay wieder los wurde. Sie wurden einem Heim für junge Mädchen überwiesen, dessen Firmenschild lautete: Freundinnen der Seeleute.

In Bombay und London begann der Secret Service der Herkunft jenes großzügigen Scheichs nachzugehen. Und stellte folgendes fest: Geboren war der Mann als Tom Horton 1759 in Newcastle am Tyne, war gelernter Schneider, fälschte mit siebzehn einen Scheck von sechs Pfund, indem er eine säuberliche Null dahinterfügte und ein ty hinter six, zahlte seinem Meister die sechs und verduftete mit dem Rest nach Schweden. Trat dort in die Armee ein. Die Frau seines Hauptmanns verliebte sich in ihn. Der Hauptmann starb sonderbar plötzlich. Die Witwe heiratete den schmucken Fremdling. Und floh mit ihm wegen Mordverdachts. Die beiden wandten sich nach Rußland. Eröffneten ein Wirtshaus an der Wolga. Trieben einträglichen Schmuggel. Doch eines Tages bezichtigte Frau Horten ihren Mann der Untreue und drohte, ihn wegen Mordes an ihrem Verewigten anzuzeigen. Daraufhin verschwand sie plötzlich. Fischer fanden ihren Leichnam in der Wolga. Horton wurde zum Tode verurteilt. Bestach die Wärter, floh in die Krim. Schloß sich tatarischen Banditen an. Erntete runde dreißigtausend Goldrubel und verzog sich nach Basra im Irak und hinunter an den Persischen Golf, getarnt als moslemischer Händler.

Eine Pilgerfahrt nach Mekka verschaffte ihm Ansehen. In politische Umtriebe verwickelt, ermordete er den türkischen Statthalter Basras und begab sich in den Schutz des Scheichs von Kischma. Dort kaufte er Land und baute Häuser und Schiffe. Wurde Admiral der Flotte zu Kischma. Trieb Seeraub. Erbeutete unter anderem eine bewaffnete Brigg der Ostindischen Gesellschaft Britanniens und ermordete die gesamte Besatzung. Sein Einfluß wuchs mit seinem Reichtum. Er zettelte einen Umsturz an, reich genug, die nötigen Leute zu bezahlen, erstürmte den Palast des Scheichs, der ihn so freundlich aufgenommen, und erdrosselte ihn mit eigener Hand. Wiederum heiratete er die Witwe des Ermordeten oder machte sie vielmehr zu seiner Hauptfrau. Die Pforte bestätigte Anno 1798 nach gehörigen Geschenken seine Nachfolge auf dem Thron zu Kischma. Von da an hatte sich der vielfache Mörder und Rechtsbrecher als ein trefflicher Herrscher erwiesen. Er tat das, was gewisse arabische Souveräne bis heute noch nicht vermocht, er schuf eine verhältnismäßig gerechte Ordnung in Verwaltung, Justiz und Besitzverteilung und regierte beliebt und geachtet. Gemessen an Salomos Harem war der seine bescheiden: vier Frauen und zehn Kebsweiber. Kinder hatte er zu seinem Kummer keine.   - (bord)

Scheich (2)  Scheich S. lebt in einem kleinen Haus mit Blick auf das Grabmal seines Großvaters, des Mahdi. Auf Papierbögen, die mit Tesaßlm zusammengeklebt sind, damit sie eine Schriß-rolle ergeben, hat er ein Poem von fünfhundert Stanzen im Stil und im Versmaß von Greys »Elegie« geschrieben. Es trägt

den Titel »Klage über die Zerstörung der Sudanesischen Republik«. Er hat mir Unterricht in Arabisch gegeben. Er sagt, daß das »Licht des Glaubens« auf meiner Stirn stehe, und hofft, mich zum Islam zu bekehren.

Ich sage ihm, daß ich nur dann zum Islam übertreten werde, wenn er einen Dschinn heraufbeschwört.

»Dschinns«, sagte er, »sind heikel. Aber wir können es versuchen.«

Nachdem wir einen Nachmittag den Suk von Omdurman nach der richtigen Sorte Myrrhe, Gummiharz und Parfum durchgekämmt haben, sind wir jetzt alle für den Dschinn bereit. Die Gläubigen haben gebetet. Die Sonne ist untergegangen, und wir sitzen in ehrfürchtiger Erwartung vor einer Kohlenpfanne unter einem Papayabaum im Garten.

Der Scheich versucht es zuerst mit ein bißchen Myrrhe. Rauch steigt in Ringeln hoch.

Kein Dschinn.

Er versucht es mit dem Gummiharz.

Kein Dschinn.

Er versucht es mit allem, was wir gekauft haben, eins nach dem andern.

Immer noch kein Dschinn!

Dann sagt er: » Versuchen wir es mit Elizabeth Arden.«   - (chatw)

Scheich (3)   Jeanne Lalochère wurde plötzlich wach. Sie sah auf ihre Armbanduhr, die auf dem Nachttischchen lag; es war sechs Uhr vorbei.

- Ich darf nicht bummeln.

Sie verweilte aber doch noch einige Augenblicke, um ihren Scheich zu betrachten, der nackt dalag und schnarchte. Sie betrachtete seine ganze Gestalt, dann die Einzelheiten, wobei sie den Gegenstand, der sie einen Tag und zwei Nächte lang so sehr beschäftigt hatte und der jetzt mehr einem gesunden Säugling nach dem Stillen glich als einem saftigen Grenadier, hauptsächlich überdrüssig und ruhig ansah.

- Und dabei ist er noch so blöde.

Sie zog sich schnell an, warf verschiedene Gegenstände in ihre Handtasche und panierte sich das Gesicht.

- Ich darf nicht zu spät kommen. Wenn ich das Mädchen wiederbekommen will. Wie ich Gabriel kenne. Sie werden bestimmt pünktlich sein. Falls ihnen nichts zugestoßen ist. Sie preßte ihren Lippenstift ans Herz.

- Hoffentlich ist ihnen nichts zugestoßen.

Jetzt war sie fertig. Sie sah ihren Scheich noch einmal an.

- Wenn er zu mir kommt. Wenn er nicht lockerläßt. Ich werde vielleicht nicht nein sagen. Aber ich werde ihm nicht mehr nachlaufen.  - Raymond Queneau, Zazie in der Metro. Frankfurt am Main 1999 (zuerst 1959)

 

Araber

 

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