Schamzerpört

Mein lieber Herwarth Walden!

Anbei schicke ich Dir die Korrektur. Es sind einige Kleinigkeiten darin. Besonders erwähnenswert erscheint mir die vorletzte Zeile in der das Wort »schamzerpört« zu »schamzerstört« geworden ist. Ich weiß nicht, ob da nur ein Lesefehler oder eine Regung des Sprachgefühls des Druckers vorliegt. Jedenfalls sagt mir schamzerpört mehr als das andere. Scham und Empörung ringen miteinander und die Scham zerdrückt. Auch »schamempört« sagt das lange nicht; außerdem liegt das Wesen des Wortes »empören« meinem Gefühl nach nicht in dem »em«, das höchstens für die Wortlehre als Erklärung Bedeutung hat, für das Gefühl liegt der Begriff des Empörens aber lediglich in dem »pören« oder vielmehr einfach vollständig in der Lautverbindung »pö«. Laß übrigens die beiden Striche darüber fort und der ganze Begriff stürzt zusammen! Deshalb halte ich schamzerpört hier für das einzige allessagende Wort. Ich trau dem Drucker nicht der denkt! Ebenso könnte in der letzten Zeile zwischen »Verkriecht sich« und »Das Geschlecht« eine Lücke bleiben, wie das in dem Manuskript auch stehen wird. Hinter »sich« ist eine scharfe Senkung und »das Geschlecht« ist eine neue starke Hebung. Ich habe es aber absichtlich nicht in eine neue Zeile gesetzt, weil dadurch die Lücke und das Seitwärtsschieben des ganzen Wortes mir eben das verkriechen auch äußerl ich zum Ausdruck gebracht schien. Ich weiß in der Korrektur nicht, wie ich das dem Drucker verständlich machen soll. Wenn Du das machen wolltest wäre ich Dir dankbar. ...

- August Stramm am 11. Juni 1914 an Herwarth Walden, nach: August Stramm Lesebuch. Nylands Kleine Westfälische Bibliothek  15, Hg.  Wolfgang Delseit. Köln 2007

Scham Empörung


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