Schätzung  Wir hörten ein unheimliches Krachen im Wald, und Felsbrocken, gefolgt von Geröll, stürzten auf die Straße herab. Wir alle erstarrten vor Entsetzen. Die Arbeiter erhoben ihre Spitzhacken und drängten sich um den Wagen. Da trat unser Freund Cucoanes aus dem Gehölz hervor. Er ging gebückt, um nicht mit seinem Haupt an die hohen Wipfel der Bäume zu stoßen, war bis auf die zerlumpten Decken, die er sich, so gut er es konnte, um die Lenden gebunden hatte, völlig nackt, wirkte jedoch recht unbekümmert. Als er unten auf der Straße angelangt war und sich aufrichtete, schien er dreimal so groß, als da ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. (In bezug auf seine Länge gingen unsere Meinungen übrigens weit auseinander. Mein Gefährte behauptete, Cucoanes. sei nicht mehr als fünfzehn bis sechzehn Meter hoch, ich hingegen schätzte ihn auf zwanzig bis zweiundzwanzig Meter, und einige der Arbeiter vertraten sogar die Ansicht, er sei über dreißig Meter hoch.) Da sein Körper gut proportioniert geblieben war, hatte er trotz seiner gewaltigen Maße immer noch ein menschliches Aussehen bewahrt. Nur sein Bart fiel nun in lange Wellen über seine ganze Brust. Er schritt mächtig aus, ohne darauf zu achten, wohin er seine Füße setzte und hätte uns bestimmt zertreten, wären die Scheinwerfer des Wagens nicht an gewesen. Einen Augenblick lang hielt er inne, als riefen diese Lichter ihm etwas in Erinnerung, er neigte uns seine Stirne zu, besann sich jedoch gleich eines anderen, zuckte die Achseln und ging seines Weges. Wir sahen, wie er sich talwärts wandte und dann ohne Eile den gegenüberliegenden abgeholzten Berghang hinanstieg. Bald war er oben auf dem Kamm angelangt, sein Bart flatterte im Wind, und im silbrigen Schein des Mondes hob sich seine Riesengestalt wie eine apokalyptische Erscheinung gegen den heiteren Himmel ab.

Das war alles. Und es war auch, wie ich glaube, das letzte Mal, daß zuverlässige Augenzeugen Eugen Cucoanes sichteten. Monate hindurch wurde Cucoanes, daraufhin überall gesucht. Alle Gerüchte, die über ihn in Umlauf kamen, erwiesen sich als aus der Luft gegriffen. Eine Gruppe von Bauern behauptete, ihn im Oktober in der Bärägan-Ebene gesehen zu haben, als sie um Mitternacht voni Feld heimkehrten. Manche beteuerten, seine Schritte hätten einen Spannweite von vierzig bis fünfzig Metern gehabt. Allerdings waren die Spuren seiner Schritte immer vom Regen verwischt, denn Cucoane§ war nur bei schlechtem Wetter unterwegs. Wollte er vielleicht seine Spuren absichtlich verwischen? Auch wagte er sich nur zu nächtlicher Stunde hervor, wenn alle anderen ruhten. Vielleicht hatte er Angst, die Menschen, die tagsüber ihrer Arbeit nachgingen, unter seinen Tritten zu zermalmen? Gegen Ende desselben Monats soll er irgendwo nördlich von Konstanza an der Meeresküste aufgetaucht sein. Manche erklärten, sie hätten ihn ins Meer steigen und fortschwimmen sehen.  - Mircea Eliade, Der Makranthropus. In: Phantastische Zeiten. Hg. Franz Rottensteiner. Frankfurt am Main 1986 (Phantastische Bibliothek 185)

 

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