Sau, geile   Langweilig ist dem Hansi Münz nicht geworden. In dem schmalen Durchgang zwischen dem Stand von der Imbiß-Rosi und dem Musikpavillon hat er ein Liebespaar beobachtet, das keinen Leberkäse gebraucht hat. Weil eher Gefahr, daß sich die beiden gegenseitig auffressen.

Die Frau hat einen weißen Schwesternkittel angehabt und war mindestens einen Kopf kleiner als der Mann, der ihr den Kopf in den Nacken gedrückt hat, daß dem Hansi Münz noch beim Zuschauen das Genick weh getan hat.

«Diese geile Sau», hat der Münz Hansi gemurmelt, wie die Krankenschwester ihren Kopf immer noch weiter zurückgebogen hat.

Er hat es jetzt gar nicht mehr eilig gehabt, daß der Bimbo zurückkommt, weil so hat er das Schauspiel in Ruhe genießen können. «So eine geile Sau», hat er immer wieder ausgerufen, obwohl er an und für sich noch nicht in einem Alter war, wo der Mensch zu Selbstgesprächen neigt. Der Hansi Münz war erst knapp über dreißig, die Leute haben ihn ja nur wegen seiner spießigen Art immer viel älter geschätzt. Und natürlich haben ihn seine altmodische Brille und seine dünne Pensionistenfrisur auch nicht gerade jünger gemacht. Und sogar der farblose Pubertätsflaum auf seiner Oberlippe hat bei ihm nicht jugendlich, sondern nur mickrig ausgesehen.

Aber heute zweiter Frühling für den Hansi: «Du geile Sau», ist er auf einmal per du mit der Krankenschwester gewesen, als könnte sie ihn hören, als würde er gar nicht fünfzehn Meter von ihr entfernt in einem geschlossenen Auto sitzen und sie nur durch die Glasscheibe beobachten.

Er hat geschnauft, als wäre er der Krankenschwester genauso nahe wie der große, blasse Mann im dunkelgrauen Anzug, der sich da zwischen dem Imbißstand und dem Musikpavillon mit der Krankenschwester so beschäftigt hat, daß man glauben hätte können: Es ist gar kein Kuß, sondern eine Mandeloperation, aber momentan alle Operationssäle auf der HNO besetzt. Jetzt ist schon die Windschutzscheibe angelaufen, so heiß ist dem Hansi Münz geworden, wie er beobachtet hat, wie die Krankenschwester langsam, zentimeterweise an der Brust von ihrem Liebhaber hinuntergerutscht ist.

«Was tust du denn jetzt?» hat der Hansi Münz die geile Sau hinter der Glasscheibe gefragt.

Aber im nächsten Augenblick ist er noch schneller bei der Autotür draußen gewesen als vorher der Bimbo. Nicht, weil er es vor Aufregung nicht mehr ausgehalten hat. Da möchte ich jetzt den Hansi Münz nicht schlechter hinstellen, als er ist. Oder Aufregung vielleicht schon, aber nicht in dem Sinn. Sondern Aufregung in dem Sinn, wie es einen Menschen aufregt, der das beobachtet, was der Sanitäter Münz da gerade beobachtet hat.

Weil die Krankenschwester ist immer weiter hinuntergerutscht. Und dann ist der Mann auch hinuntergerutscht. Und beide sind immer weiter hinuntergerutscht. Bis sie reglos auf dem Grasstreifen zwischen dem Imbißstand und dem Musikpavillon gelegen sind.

Das hat den Sanitäter Münz so aufgeregt, daß er die Autotür fast aus den Mercedes-Scharnieren gerissen hat und zu den beiden hinübergestürmt ist.

Aber er hat dann auch nur mehr ihren Tod feststellen können. Also offiziell darf es der Sanitäter ja nicht. Weil Tod feststellen nur Arzt. Aber so ein Pech wie diese Krankenschwester mußt du einmal haben. Jemand hat dem Mann im dunkelgrauen Anzug so gemein ins Genick geschossen, daß die Kugel erst bei der Schwester wieder herausgekommen ist.

Durch das Genick vom Küsserkönig hat es die Kugel nicht weit bis in die Mundhöhle gehabt, und natürlich die beiden Mundhöhlen sperrangelweit offen, da ist das Geschoß mir nichts, dir nichts noch bis in das Krankenschwesternhirn weitergewandert.  - Wolf Haas: Komm, süßer Tod. Reinbek bei Hamburg 2018

Sau Geilheit

Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 

Unterbegriffe

VB

Synonyme