anatorium  Alexander Fjodorowitsch Kerenski sah ich zum erstenmal am 20.Dezember 1916 im Speisesaal des Sanatoriums Olila. Der Rechtsanwalt Sazareny aus Turkestan hatte mich ihm vorgestellt. Von Sazareny wußte ich, daß er sich mit vierzig Jahren beschneiden ließ. Der Großfürst Pjotr Nikolajewitsch, ein Geisteskranker, der in Ungnade gefallen und nach Taschkent verbannt worden war, schätzte Sazarenys Freundschaft. Dieser Großfürst lief splitternackt durch die Straßen Taschkents, ehelichte eine Kosakin, stellte Kerzen vor einem Voltaireporträt auf wie vor einem Christusbild und bemühte sich um die Entwässerung der grenzenlosen Amudarja-Ebene.   - (babel)

Sanatorium (2) Es beglückte Sir Basil, daß er sich selbst seine altschottische Dudelsackweise komponiert hatte. Angeblich »konnte er teuflisch gut Dudelsack spielen«, trotz Kurzatmigkeit und Nationalgetränk. Die Eingeborenen erblickten in ihm eine Art buckra oder bösen Geist - wegen seines Kilts und der bloßen Knie. Jetzt eben watete er durch die Vanillepflanzen zu seinem Sessel.

»Verdammt nochmal!« sagte er, während er sich erleichtert fallen ließ. »Warum nicht was völlig anderes! Warum Tiere, immer Tiere?« Er langte nach dem Siphon. »Warum nicht ein gebutterter Brotlaib, der einem, sagen wir, vor Augen schwebt; eine Vision des glücklichen Albion - warum immer Tiere?«

»Schlechte Nacht gehabt?« forschte Mr. Menus zaghaft.

»Sehr schlechte. Und immer rosa. Warum rosa? Ich muß ergründen, warum rosa, warum nicht etwas völlig anderes.«

»Wieso denn gebuttert?« fragte Mrs. Pengallis und ließ die Nadeln klappern.

Sir Basil blickte sie an. Er war ein schwerer Mann und litt entsprechend. »Ich benutze dies Wort mit Bedacht, Madame, ein trockener Knust ist mir zuwider.«

»Brotknust?«

Mr. Pepper (der spinnenhafte kleine Angestellte eines Gemüseladens) nieste. Er war über dem Anblick von Sellerie neurotisch geworden, und mittlerweile litt er an Kriegsangst und Hautaus-scnlag. Unaufhörlich schob er die Hände ineinander, als mische er Karten. »Das Leben ist schrecklich. Ich fühle mich ständig unwohl - ständig.«

Sir Basil grunzte, ein volles, destilliertes Grunzen. »Versuchen Sie's mit Ihren Vorfahren, schreiben Sie's auf, das wird Ihnen den Kopf zurechtrücken. Erproben Sie Ihre Hand an Ihrem Großvater -ich nehme doch an, Sie hatten einen.«

Mr. Peppers Ausdruck veränderte sich. »Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht.«

»Keine Vögel - wieso eigentlich nicht?« fuhr Sir Basil fort. »Warum bloß seit den Anfängen des Menschen und dem ersten aufmunternden Schluck immer nur Vierfüßler?« Er brachte sein Glas zum Kreiseln. »Warum nicht die Nachteule, die Nachtweihe, die Nachtigall? Schlimmstenfalls auch der Kiebitz, die Lerche, aber wirklich, warum nicht die Nachtigall? Ich bevorzuge die Nachtigall.«

»Warum mußte dieser Vogel bloß so hoch hinauffliegen?« wollte Mrs. Pengallis wissen, »so weit hinauf, nur um mit Shelley im Mund wieder herunterzukommen?« - Djuna Barnes, Saturnalien. In: D. B., Hinter dem Herzen. Berlin 1994

Sanatorium (3) Unter anderen (allzu oft recht hinfälligen) Gestalten  in diesem Sanatorium, die bald von der Terrasse, bald von dem Salon angezogen wurden, waren drei oder vier gespenstische Greise, von denen — wie ich zu meiner Bestürzung entdeckte - nicht alle älter waren als ich und die mit langsamen kleinen Schritten, fast wie No-Schauspieler, an ihren mit einem Gummiende (und nicht mit einem Eisen, wie es zur Ausrüstung der zahlreichen Waldspaziergänger und -spaziergängerinnen gehörte) bewehrten Stöcken einherschlurften. Das älteste Gespenst, das drei Jahre älter war als der ihm anverwandte Insasse eines Rollstuhls, den meine Frau und ich, die wir selber keineswegs mehr so agil sind, mit der Hilfe seiner englischen Schwester, die kaum rüstiger war als er, und einer aus Paris mitgebrachten jungen Krankenschwester, die dann von einer anderen abgelöst wurde, auf den kurzen Wegen begleiteten: die große, dürre Holländerin von sechsundneunzig Jahren mit einer Gesellschaftsdame zur Seite, welche aufmerksam ihren langen Monologen folgte, die sich mit Hilfe eine Art Laufstall aus Stahlrohren vorwärtsbewegte, auf den sie sich jedes Mal, wenn sie ihren verkrümmten rechten Fuß vor ihren noch intakteren linken setzte, aufstützte, eine Art Bühnensemiramis, die wie ein Stück des Dekors das symbolische Fragment eines Walles vor sich herschob, das sie nur zur Seite stellte, wenn sie sich hinsetzen wollte.  - (leiris)
 
 

Heilung

 

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