alome   Nun glänzte, auf einem Kissen, unter den Resten der Leier aus Ebenholz, das Haupt des Johannes (wie einst das des Orpheus), mit Phosphor bestrichen, gewaschen, geschminkt, gelockt, und grinste hinauf zu den vierundzwanzig Millionen Sternen.

Sofort nachdem das Objekt ihr zugestellt worden war, hatte Salome, um wissenschaftlicher Verantwortlichkeit zu genügen, die bekannten und so viel besprochenen Experimente nach Enthauptungen durchgeführt; aber sie hatte , schon damit gerechnet: die elektrischen Stromflüsse schlugen aus seinem Gesicht nichts als unbedeutende Grimassen. Nun dachte sie sich ihren Teil.

Aber was bedeutete es, daß sie jetzt den Blick nicht mehr vor Orion senken mußte! Starr und unverwandt blickte sie den mystischen Nebelstern ihrer Pubertätsjahre an, zehn Minuten lang. Wie viele Nächte, wie viele Zukunftsnächte werden folgen und wer wird das letzte Wort haben! . . . Und diese Gesangsvereine, diese Knallfrösche dort unten in der Stadt!

Schließlich riß sich Salome als vernünftige Person zusammen und zog ihr Halstuch wieder fester; dann entdeckte sie an sich den trüben, mit grauem Goldsand berieselten Opal des Orion, legte ihn wie eine Hostie in den Mund des Johannes, küßte diesen Mund mit erbarmungsvollem und hermetischem Kusse und versiegelte ihn mit ihrem ätzenden Petschaft (im Augenblicksverfahren). Sie wartete, eine Minute! . . . nichts in der Nacht gab Zeichen! . . . mit einem trotzigen und unwilligen »Hopp!« ergriffen ihre kleinen Frauenhände den genialen Dickkopf . . .

Da der Kopf mitten ins Meer fallen sollte, ohne zunächst an den Klippen zu zerschmettern, nahm sie einigen Schwung. Das Treibgut beschrieb eine ausreichende, phosphoreszierende Parabel. Oh! welch edle Parabel! — Aber die unglückliche kleine Astronomin hatte ihren Sprungraum entsetzlich schlecht bemessen! und über die Brüstung kippend stürzte sie mit einem Schrei, der endlich menschlich war, von Felsen zu Felsen in eine malerische Tiefe, die von den Fluten bespült wurde, fern dem Lärm des Nationalfeiertages, röchelte sie, bis auf die Haut zerfetzt, die Sterndiamanten drangen ihr ins Fleisch, der Schädel brach, und vom Taumel gelähmt, in jeder Hinsicht übel zugerichtet, rang sie eine Stunde lang mit dem Tode. - Aus: Jules Laforgue, Hamlet oder Die Folgen der Sohnestreue und andere legendenhafte Moralitäten. Frankfurt am Main 1981 (BS 733, zuerst 1887)

Salome (3)  Mamie  kam, groß und gebieterisch, aus dem schummrigen Bühnenhintergrund. Die nackten Schultern stützten lebhaft flutendes Haar.

Eine Minute schwebte sie in der Bühnenmitte, eine verlockende Silhouette im Dunst.

Dann fiel das Scheinwerferlicht, und zwar nicht auf Mamie, sondern auf das Gesicht von Johannes. Zur Decke gekehrt und weiß lag es mit halbgeschlossenen Lidern auf seinem Tablett, und Haar und Bart flossen über den Rand. Dunkle Ringel unterbrachen das Weiß der Stirn, das stumme Fragen der bemalten Lippen in Erwartung des Auftritts von Mamie Saloam, die das Küssen vor zehn Jahren gelernt hatte.

Die Damen vom P. U. B., die sich so leicht nichts vormachen ließen, saßen mit gestrengen Mienen über ihre Gläser gereckt. Sie wollten sichergehen, daß Schlichtheit aus der Art sprach, wie Mamie vor ihrem Herrn wandelte.

Und sie kam näher, hielt inne und fiel dann plötzlich in Halbschritte, mit denen sie das Haupt des toten Täufers halbkreisförmig umtanzte, wobei sich gurgelnde kleine Kehllaute ihren Lippen entrangen. Langsam ließ sie sich niedersinken, bis sie, bevor die gesteiften Damen sich versahen, am Boden lag und sich schlangenhaft dem Blechtablett entgegenwand.

Seitwärts, vorwärts, wie mit Plastikhänden, näherte sie sich ihm und kam ihm näher und näher, bis ihr Atem das Tablett streifte. Murmelnd schwebte sie über ihm, während ihre Augenfarbe von blau zu grün und von grün zu einem tiefen Beigegrau wechselte. Dann ließ sie plötzlich das Kinn zwischen die Strähnen des wallenden Bartes sinken.

Die gesteiften Damen seufzten und entspannten sich. Das war einmal eine Frau, die die Angelegenheit mit unbedingter Neutralität abzuwickeln verstand. Sie wandten dem Intendanten zustimmende Blicke zu.

»Sie hat Johannes vollkommen im Griff«, sagten sie und entschwanden.

Dann tat Mamie etwas Seltsames.  Sie setzte sich auf, schlang die Arme um die Knie und schaute heiter in das Gesicht, das immer noch reglos im Blau des Lichts lag, das von der unbesetzten Beleuchterkabine herabfiel. Johannes der Täufer kniff das rechte Auge zu.

»Steh auf, Billy«, sagte sie, »ist ja gut. Danken wir der Finsternis der Kulissennacht und deiner Fähigkeit, still zu liegen. Endlich habe ich bewiesen, daß eine Frau nie weiß, was sie sieht.«    Djuna Barnes, Der schreckliche Pfau. In: D.B., Die Nacht in den Wäldern. Short Stories. Berlin 1984

Salome (4)  

- Julius Klinger

 

Frau

 

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