änger  Eine große Stimme hat Irland verlassen, behaupten einige Männer in Dublin. Und einige, der Jugend verlorengegangene Frauen fügen hinzu:

»Die Stimme hörte von einer Nacht zur anderen zu singen auf - keine Stille war je damit zu vergleichen.« Denn die Singstimme von James Joyce, dem Autor von Ein Portrait des Künstlers als junger Mann und von Ulysses soll unübertroffen gewesen sein.

Daß Joyce einst ein Sänger war, ist eine Offenbarung, die dem flüchtigen Leser seiner Bücher nicht viel sagen mag. Man muß schon einen dieser seltsam abgeschiedenen Abende mit ihm verbracht oder Passagen seines Ulysses, wie sie in der Little Review erschienen sind, gelesen haben, um den Singsang in seinen Worten zu hören.

Normalerweise erwartet man von einem Sänger einen Anflug von Bravour. Man erwartet, daß er sich schwungvoll in Positur stellt, immer abwechselnd das rechte und das linke Bein vorsetzend, und man erwartet ab und an ein paar nicht allzu keusche Seufzer. James Joyce hat nichts von alledem.

Die Dubliner hatte ich während des Kriegs gelesen, über meinen Kaffee gebeugt. Auch war ich Mitglied einiger Theaterkomitees, gerade lange genug, um die Aufführung seines einzigen Stückes Verbannte anzuregen. Das Portrait habe ich verschlungen von einem Ellbogen zum anderen wechselnd. Aber erst in seinem letzten Werk hörte ich den Sänger heraus in Zeilen wie:

»So standen beide eine Weile in blasser Hoffnung da und trauerten umeinander.« Oder: »Dorthin trugen übergroße Karren die Fülle der Felder herüber, kugelrunde Kartoffeln und schillernder Kohl, und Zwiebeln, die Perlen der Erde, und rote, grüne, gelbe, braune und rostfarbene, süße, große, bittere, reife und kernige Apfel und Erdbeeren, die auf Fürsten warten und Himbeeren, frisch von der Ranke.« Oder besser noch jener witzige Gesang in der köstlichen Hinrichtungsszene, wo »der gelehrte Prälat im höchst christlichen Geist in einer Regenpfütze kniet«.

In Zeilen wie diesen wurde mir klar, daß Joyce wirklich als Sänger angefangen haben mußte, und sicher hat er sehr sanft gesungen. Doch keine Stimme erträgt die Grausamkeit des Lebens, ohne brüchig zu werden. Deshalb wandte er sich Papier und Feder zu, um in der dazu notwendigen Stille die üppigen Unzulänglichkeiten zu ordnen und vor sich ausbreiten zu können wie Juwelen, Juwelen mit einem Drang zur Fäulnis. - (barn)

Sänger (2)

Sang der alte Wäinämöinen,
Seen schwankten, Länder bebten,
Kupferberge selbst erdröhnten,
Starre Steine selbst erschraken,
Felsen flogen voneinander,
Klippen an dem Strand zerschellten.

- Nach: Joseph Campbell, Der Heros in tausend Gestalten.  Frankfurt am Main 1978 (st 424, zuerst 1949)

Sänger (3) Er bekommt Lust zu singen und singt, doch wenn Louis singt, ist die bestehende Ordnung der Dinge aufgehoben, nicht aus einem erklärlichen Grund, sondern einfach nur, weil sie eben aufgehoben ist, wenn Louis singt, und aus diesem Mund, der vorher die goldenen Banderolen beschriftete, kommt jetzt das Röhren eines brünftigen Hirsches, der den Sternen geltende Lockruf einer Antilope, das Summen der Hummeln während der Siesta auf den Plantagen. Verloren in dem riesigen Gewölbe seines Gesangs, schließe ich die Augen, und bei der Stimme dieses Louis von heute höre ich alle seine früheren Stimmen, seine Stimme von alten, für immer verschollenen Schallplatten, seine Stimme, die When your lover has gone singt, die Confessin' singt, die Thankful singt, die Dusky Stevedore singt. Und obgleich ich nurmehr eine dunkle Regung bin in dem vollkommensten Pandämonium des Saals, der wie ein gläserner Ballon an Louis' Stimme hängt, komme ich für eine Sekunde zu mir und denke an 1930, als ich meine erste Platte von Louis kaufte, die Mahogany Hall Stomp von Polydor. Und ich öffne die Augen wieder und da steht er auf einer Bühne in Paris, ich öffne die Augen und da ist er, nach zweiundzwanzig Jahren südamerikanischer Liebe ist er da, nach zweiundzwanzig Jahren steht er dort und singt und lacht mit seinem ganzen Kindergesicht, das Cronopium Louis, das ungeheure Cronopium Louis, Louis, die Freude der Menschen, die deiner würdig sind. - (cort)

Sänger (4)  Vor allem suchte ich auf meinen Reisen die Künstler und die göttlichen Menschen, die mit der Leier die Götter und die Glückseligkeit der Völker besingen, die die Gesetze, die Religion und die Gräber ehren.

Diese Sänger sind göttlichen Ursprungs, sie besitzen das einzige unbestreitbare Talent, das der Himmel der Erde zum Geschenk gemacht hat. Ihr Leben ist zugleich naiv und erhaben. Sie feiern die Götter mit einem Goldmund und sind die Einfachsten der Menschenwesen. Sie sprechen wie Unsterbliche oder kleine Kinder. Sie erklären die Gesetze des Weltalls und vermögen doch nicht einmal die unschuldigsten Dinge des Lebens zu verstehen. Sie haben wunderbare Ideen über die Toten und sterben, ohne es zu merken.  - René Chateaubriand, nach: Kommentarband zu (sot)

Gesang
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