Ruhestand  Die Lehrerin Santoni hört nicht mehr zu. Sie sieht ihren Garten vor sich liegen, wo alles völlig neu angeordnet ist. Die Bäume stehen an ihren neuen Plätzen vor ihr, daran ist nicht zu rütteln. Sie geht zu jedem einzelnen hin und befühlt ihn. Sie kennt jeden Riß in seiner Rinde. Sie hat sie alle zusammen mit ihrem seligen Mann selbst gepflanzt. Er hatte unbedingt eine Magnolie und eine Linde gewollt, weil er als Kind immer in einem Park mit uralten Magnolien gespielt hatte und von seiner verstorbenen Mama mit Lindenblütentee kuriert worden war. Nun war er selbst verstorben. Er ging in den Ruhestand, und sechs Monate später war er tot. So geht es vielen Leuten, für die die Arbeit das Leben ist.   - Gianni Rodari, Das fabelhafte Telefon. Wahre Lügengeschichten. Berlin 1997 (Wagenbach Salto 65, zuerst 1962)

Ruhestand (2)  «Wie alt war die Kleine, der du deinen Schniepel gezeigt hast?»

«Ich habe ihr nichts gezeigt. Sie hat es mir gezeigt, und sie ist neun. Wird bald zehn.»

«Da hast du Glück gehabt, Alter. Wenn sie acht oder jünger gewesen wäre, dann würden dir jetzt fünfundzwanzig Jahre blühen. Aber wenn sie neun sind, sind sie alt genug, um in der katholischen Kirche unterrichtet zu werden. Folglich ist die magische Zahl in den meisten Staaten die Acht. Wenn sie neun sind oder zehn, kann man manchmal mit dem Staatsanwalt einen Deal machen. Es sei denn, du hättest ihr was getan. Hast du ihr was getan?»

«Ich habe das Mädchen nicht angerührt. Ich habe draußen auf meiner Veranda hinter dem Haus ein Nickerchen gehalten, und sie ist durch die Fliegentür hereingekommen und hat mir die Zunge in den Mund gesteckt. Davon bin ich wachgeworden.»

Troy nickte und machte seine Blitzgrimasse. «Du mußt ihr unwiderstehlich vorgekommen sein, wie du mit offenem Maul dalagst. Ich hatte mal 'ne Freundin in San Berdoo, die weckte mich immer, indem sie mir die Zunge ins Arschloch steckte. Aber die war fünfunddreißig, und da lief sonst nicht mehr viel für sie. Was hat sie dann getan, Pop - hat sie dir die Hose runtergezogen?»

«Nein, sie hat ihre Hose heruntergezogen, ihre Shorts, rote Shorts. Ich war noch halb im Schlaf, oder halb wach, und zuerst begriff ich überhaupt nicht, was sie da trieb. Sie hatte einen Beutel mit Pennys, wissen Sie, und sie wollte einen Pcnny für den Zungenkuß, und dann verlangte sie noch mal fünf, nachdem sie ihre Shorts ausgezogen hatte.»

«Weiß Gott, das ist billig genug.»

«Sie hat gesagt, irgendein alter Mann im Park - im Julia Tuttle Park - gibt ihr immer Pennys dafür, und ich schätze, sie dachte, weil ich alt bin, gebe ich ihr auch welche.»

«Aber du hast nichts angefangen ?»

«Nein, ich sage doch, ich habe geschlafen. Und dann kam Maya - das ist meine Frau - nach Hause, als ich versuchte, Pammi einzufangen und ihr die Shorts wieder anzuziehen. Sie rannte die Straße hinunter und erzählte es Mrs. Sneider. Die rief ihren Mann in der Tankstelle an, und er kam und schlug mir auf den Mund. Niemand wollte mir zuhören. Ich weiß nicht, was Pammi ihrer Mutter erzählt hat.»

«Pammi? Die Abkürzung von Pamela?»

«Nein, sie heißt einfach Pammi, mit i am Ende, ohne e.»

«Hast du deinen Anruf getätigt? Du hast ein Anrecht auf ein Telefongespräch, weißt du.»

«Der Deputy hat gesagt, ich könnte telefonieren. Aber ich wußte niemanden, den ich hätte anrufen können, außer Maya, und meine Frau weiß schon, daß ich hierdrin bin.» Stanley fing an zu weinen.

Troy stand auf und befahl Stanley, sich auf die Pritsche zu setzen. Er zog Stanley den Hemdzipfel ans der Hose und wischte dem alten Mann damit das Gesicht ab. «Heulen wird dir auch nicht helfen, Alterchen. Was du brauchst, ist 'n guter Knastanwalt. Du hörst mir jetzt zu, und ich werd dir helfen. Dann kannst du für mich auch etwas tun. Okay?»

«Das ist alles ein großes Mißverständnis», sagte Stanley. «Nicht in einer Million Jahren würde ich dem kleinen Mädchen was tun. Ich hab ja schon seit mehr als drei Jahren nicht mal mehr 'nen Ständer gehabt. Ich bin einundsiebzig Jahre alt und im Ruhestand.»  - Charles Willeford, Seitenhieb. Reinbek bei Hamburg 1996

 

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