iesenmädchen An einem Tag war der Riese nicht zu Hause; da hörte der Bursche die süßeste Musik, die er je gehört hatte; sie kam aus einer Stube im obersten Geschoß. Wie er nachschaute, erblickte er dort das schönste Mädchen, das er je gesehen hatte. Sie winkte ihn ein wenig näher zu sich heran und sagte ihm, er solle jetzt gehen, aber ganz gewiß in der kommenden Nacht um Schlag zwölf an derselben Stelle sein.
Und wie er versprochen hatte, so kam er. Die Riesentochter war im Nu an seiner Seite, und sie sprach: »Morgen wirst du vor die Wahl gestellt werden, eine von meinen beiden Schwestern zu heiraten, aber sage nur, daß du keine von beiden haben willst, sondern mich. Mein Vater will, daß ich den Sohn des Königs der Grünen Stadt heiraten soll, aber ich mag ihn nicht.« Am Morgen führte der Riese seine drei Tochter heraus und sagte: »Nun, Sohn des Königs von Tethertown, es soll dein Schaden nicht sein, daß du so lange bei mir gelebt hast. Du sollst eine von meinen beiden älteren Töchtern zur Frau haben und dich mit ihr aufmachen und zu deinem Vater zurückkehren am Tag nach der Hochzeit.« - »Wenn Ihr mir diese hübsche Kleine geben wolltet«, sagte der Königssohn, »so will ich Euch beim Wort nehmen.«
Dem Riesen schwoll die Zornesader, und er sagte: »Bevor du sie bekommst, mußt du drei Dinge tun, die ich dir aufgeben werde.« - »Nur zu«, sagt der Königssohn. Der Riese führte ihn zum Stall. »So«, sagte der Riese, »hier liegt der Mist von hundert Stück Vieh, und seit sieben Jahren ist er nicht ausgeräumt worden. Ich bin heute den ganzen Tag fort, und wenn dieser Stall nicht sauber gefegt ist, ehe der Abend kommt, so sauber, daß ein goldener Apfel von einem Ende zum andern rollen kann, so wirst du meine Tochter nicht bekommen, und ich werde zur Nacht meinen Durst mit einem Trunk von deinem Blut stillen.«
Der Königssohn fängt an, den Stall auszumisten, aber ebenso hätte er versuchen
können, den weiten Ozean leerzuschöpfen. Als Mittag vorbei war und der Schweiß
ihm über die Augen lief, daß er ganz blind davon wurde, kam die Riesentochter
zu ihm und sagte: »Du wirst wohl kaum der Strafe entgehen, Königssohn.« - »So
ist es«, sagt der Königssohn. »Komm her«, sagt sie, »und bette deine müden Glieder.«
- »Das will ich tun«, sagt er, »auf mich wartet ja doch nichts anderes als der
Tod.« Er setzte sich ihr zur Seite. Er war so müde, daß er sogleich einschlief
neben ihr. Als er aufwachte, war die Riesentochter nirgends zu sehen, der Stall
jedoch war so sauber ausgefegt, daß ein goldener Apfel von einem Ende zum andern
rollen konnte. Der Riese kommt herein und er sagte: »Du hast den Stall sauber
gemacht. Königssohn?« — »Ja, ich habe ihn sauber gemacht«, sagt er. »Jemand
hat ihn sauber gemacht«, sagt der Riese. - »Du hast es auf jeden
Fall nicht getan«, sagte der Königssohn. »Ja, das stimmt«, sagt der Riese. -
(
schot
)
Riesenmädchen (2) Athene war ein kräftiges junges Weib von achtzehn Jahren, sechs Fuß hoch und entsprechend breit, mit einem Paar Schultern, die eine Tonne Weizen heben und tragen konnten. Um die Vierzig würde sie riesig sein, aber noch war sie zu jung, um fett zu werden, und so kerzengerade wie ein Lärche. Ihre edle Stirn unter dem roten Haar war weiß wie Milch, aber der Rest ihres Gesichts war ebenso wie die breiten Handgelenke von Sommersprossen bedeckt. Nichtsdestoweniger hatte sie eine so reine und klare Haut, daß sie, als sie eintrat, die Halle geradezu erhellte, mit einem Licht wie in einer Stube, wenn draußen Schnee liegt. Ihre klaren Augen hatten einen dunkleren Ring um die Iris - ein Paar Augen wie die eines Adlers oder einer jungen Löwin -, sonst aber war der Ausdruck des riesigen jungen Geschöpfes friedfertig. Ihr rundes Gesicht war von jener Aufmerksamkeit und dem Vorbehalt geprägt, von denen sonst Schwerhörige gekennzeichnet sind.
Wenn Boris früher mit ihr zusammen gewesen war, dann war ihm bisweilen die
alte Ballade von des Riesen Tochter eingefallen, die einen Mann im Walde fand.
Erstaunt und froh trägt sie ihn als Spielzeug nach
Hause, aber der Riese sagt, sie solle ihn laufen lassen, sonst mache sie ihn
nur entzwei. -
(
blix
)
Riesenmädchen (3) Die Schlafzimmertür
angelehnt, sieht er. Er späht von der Schwelle hinein und sieht die Riesin eingeschlummert
auf ihrem Bett liegen. Er hatte sie noch nie schlafen sehen, und außerdem hatte
er sie noch nie anders gekleidet gesehen als mit ihrem Turnanzug. Jetzt trug
sie ein Blumenkleid, das er ihr geschenkt hatte, das heißt, er hatte ihr den
Stoff geschenkt, und die Mutter hatte es ihr genäht. Sie lag zusammengerollt,
die Knie nahe am Gesicht und die riesigen Schenkel in dieser Haltung ganz unbedeckt.
Auch die Furche zwischen den Hinterbacken lag unbedeckt zwischen zwei Massen
von welkem, durchsichtig weißem Fleisch. Sie hatte den Daumen nahe am Mund,
als hätte sie gerade aufgehört zu lutschen. Oft hatte der Arzt schon während
der Untersuchungen gesehen, daß sie den Daumen in den Mund steckte, wobei sie
ihn zwischen den leicht geöffneten Lippen behielt, ohne daran zu lutschen. Jetzt,
auf der Seite zusammengerollt liegend, hatte sie den Daumen nahe am Mund. Aber
sie lag so entspannt und friedlich in ihrem riesigen Körper, so leicht ging
ihr Atem im Schlaf, daß er es nicht über sich brachte, die Augen von ihr abzuwenden.
Er ging in das Zimmer, wo es so stickig war und nach alten Blumen, Leintüchern,
schmutziger Wäsche und Schweiß roch. Auf dem Bett lagen um sie herum verstreut
Anstecknadeln, Puppen, Halsketten, Armreifen und Ringe. Einige Fingerringe lagen
vor dem Schoß des monumentalen schlafenden Mädchens, als hätte es gerade noch
damit gespielt und den einen oder anderen anprobiert. -
Gianni Celati, Nachrichten für Seefahrer. In: G. C., Cinema naturale. Berlin 2001
Riesenmädchen (4) An der westlichen Ozeanküste
strandete einst ein Riesenmädchen, insgesamt fünfzehn Meter lang (und zwei breit),
sehr jung und schön, die Brüste waren noch nicht herausgesprossen, sie war in
ein rotes Tuch gewickelt, ganz zusammengebunden wie eine große Salami, und ihr
Kopf war entzwei gespalten. Man weiß nicht, aus welchem Land, aus welcher Zeit
noch aus welchen Sitten und Gebräuchen sie herkam, noch welche Sünde sie begangen
hatte, sie war so unendlich, so kindlich und sah so unschuldig aus, dass man
auch Jahrhunderte spater noch weinen und ihr alles verzeihen muss. - Ermanno Cavazzoni, Das kleine Buch der Riesen. Berlin
2010
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