iese   Eine uralte germanische Bezeichnung der Riesen hat bereits TACITUS überliefert. Jenseits der Finnen im hohen Nordosten beginnt die Fabelwelt: die Ellusier und Etionen haben Gesichter und Antlitze von Menschen, Leiber und Gliedmaßen wilder Tiere. Etja, Etio, an. itunn, ags. eoton, as. etan (as. Etanasfeld, thür. Etenesleba) gehört zu etan "essen" und bedeutet "gefräßig". Noch im 11. Jahrhundert wird, wie in der nordischen Mythologie durchgängig, das Heim aller Unholde und Riesen in den Nordosten verlegt. ... Alle diese Namen bezeichnen das Gewaltige, Ungeheuere. Von der Gefräßigkeit der Riesen ist der allgemeine Name Etionen wie der besondere Eigenname Wolfesmäge entlehnt.

Selbst von rohem Fleisch oder gar von Menschenfleisch nähren sie sich: so entstand der Menschenfresser unserer Märchen. Soweit an leiblicher Größe und Stärke der Mensch den Zwergen überlegen ist, bleibt er hinter den Riesen zurück. - (her)

Riese (2)  Gargantua ist kein Gelehrter, sondern ein riesenhafter Fresser und Trinker, ein Verschwender der délices du monde. Nicht sein Gehirn, sondern sein Maul und sein Wanst bemächtigen sich der Dinge, und sein Tun ist eine Gegenbewegung des begrifflichen oder des symbolischen Denkens, nämlich die Auflösung der Welt in ihre tausend und aber tausend konkreten Dinge, deren sich das Schmecken, das Tasten und Sehen, das Unterscheiden und Benennen zu versichern vermögen.

Um das zu leisten, braucht es Riesen, und das Monströse ist das erste und offensichtlichste Merkmal an Gargantuas Welt. Mit ihm ist nichts Jenseitiges entdeckt, das ins Endliche hereinragte, sondern das Gegenteil: die Riesenhaftigkeit des Endlichen.

Ebenso monströs wie die Leiber und die Güter der Riesen sind ihre Kräfte. Eigentlich haben sie nur Körper, insofern sie triebhafte Kräfte haben, und ihre Organe sind der Durst, der Hunger, die geschlechtliche Gier und ein unbändiges Verlangen nach Bewegung. Sie sind das Gegenteil der mittelalterlichen Asketen, die krasse Verleiblichung einer nur sich selbst genügenden vitalen Gier. So ist der Leib der Gargamelle nichts anderes als eine Aufschwellung ihrer Triebe: Er ist »safftig, weich und lind« , und sie ist nicht schön, weil ein Geistiges in ihrer Leiblichkeit erschiene, sondern gegenteils, sie ist schön, weil aus der Tiefe ihres Körpers durch dessen Alabasterhaut hindurch die Kanäle des Blutes und der Triebe schimmern.

Dieser geschwellte, von Affekten durchpulste Leib ist ein hypertrophes, andauernd erregtes, aber fast unanschaubares Gebilde, das nicht mehr dem Schönheitsempfinden der Renaissance entspricht und das sich erst in seiner Weiterentwicklung, in den barocken Riesenleibern Rubensscher Kunst, wieder verfestigt.

Aber nicht nur die Leiber haben unter dem Andrang der Triebe ihre Konsistenz geändert, sondern auch die Objekte ihrer Begehrlichkeit. Die Riesen lieben massigweiche, saftig-pralle oder spannkräftige Dinge. Kutteln waren schon bei Rabelais eine Riesen-Delikatesse; Grandgousiers Lust am Käseessen kennt jedoch erst Fischart.

In diesen Zusammenhang gehört auch die Freude am Phallischen, wie sie in der Beschreibung von Gargantuas Latz, dem Prunkstück seiner Garderobe, oder im Entzücken der Ammen über die ersten Anzeichen der Adoleszenz ihres Zöglings unverhohlen zum Ausdruck kommt.

Im Bereich der nachgiebig-widerständigen Dinge stößt man auch auf das Kotige als den Inbegriff dessen, was schon im Eulenspiegel jedem Maß und jeder Ordnung zuwider ist. Das Kotige und Ekelhafte ist dort wie hier ein Stück Wirklichkeit, an dem sich die virtuose Kraft des Überwindens alles Widerstrebenden erwahrt. Diese selbe virtuose Kraft ist die Ursache dafür, daß die Riesen nicht nur um sich aufhäufen, was die Erde an Eß- und Trinkbarem bietet, sondern daß sie sich dieses auch einverleiben möchten. Deshalb entspricht ihnen alles das, was sich ohne Aufwand durch ihre Mäuler, Mägen und Gedärme treiben läßt. Ihre Bäuche sind gewaltige Vakua, die alles Eß- und Trinkbare in sich reißen, um es zu vernichten. Gargantua, der zum Studium in Paris weilt, bemüht sich zwar, jeden Morgen seine Augen »ein halb verloren stündlin« auf ein Buch zu richten; dann aber setzt er sich zu Tisch, um sich mit riesigen Mengen rauchgedörrter Ochsenzungen, Schinken, Würsten, Schaufeln voll Senf und Eiern einen gewaltigen Durst anzuessen und hierauf soviel zu trinken, daß die Nesteln und Haften seiner Gewänder aufspringen und er »oben zum halß ein mit eim Leffel mag den Wein erreichen unnd schnitten darein weichen «. Das Ende seines Tuns, nämlich der bewußtlose Rausch, ein Geschehen wider jedes Denken und wider alle Ordnung, ist die äußerste Daseinsmöglichkeit des Trinkers.

Gargantua selbst bezeichnet das Vollsein als Maß und Ziel des Trinkens. Das ist eine klare Antwort auf die Frage nach dem Sinn seines monströsen Tuns. Dieser Sinn ist demnach, das zu tun, was im Wesen des Tuns selber liegt, nämlich: zu essen um des Wanstes, zu trinken um der Trunkenheit willen. Nichts schaut dabei heraus außer einer absurden Monstrosität. - Hugo Sommerhalder [1960], Nachwort zu (fisch)

Riese (3) Indem sahen sie wohl 30 bis 40 Windmühlen, die auf dem Felde stehen, und sowie Don Quixote sie erblickte, sagte er zu seinem Stallmeister:

Das Glück führt unsere Sache besser als wir es nur wünschen konnten, denn siehe, Freund Sancho, dort zeigen sich dreißig oder noch mehr ungeheure Riesen, mit denen ich eine Schlacht zu halten gesonnen bin und ihnen allen das Leben zu nehmen; mit der Beute von ihnen wollen wir den Anfang unseres Reichtums machen, denn dies ist ein trefflicher Krieg und selbst ein Gottesdienst, diese Brut vom Angesichte der Erde zu vertilgen. Welche Riesen, fragte Sancho Pansa. Die du dorten siehst, antwortete sein Herr, mit den gewaltigen Armen, die zuweilen wohl zwei Meilen lang sind.

Seht doch hin, gnädiger Herr, sagte Sancho, daß das, was da steht, keine Riesen, sondern Windmühlen sind, und was Ihr für die Arme haltet, sind die Flügel, die der Wind umdreht, wodurch der Mühlstein in Gang gebracht wird.

Es scheint wohl, antwortete Don Quixote, daß du in Abenteuern nicht recht bewandert bist, es sind Riesen und wenn du dich fürchtest, so gehe von hier und ergib dich indessen dem Gebete, indem ich die schreckliche und ungleiche Schlacht mit ihnen beginne.

Mit diesen Worten gab er seinem Pferd Rosinante die Sporen, ohne auf die Stimme seines Stallmeisters zu achten, der ihm noch immer nachrief, daß es ganz gewiß Windmühlen und nicht Riesen wären, was er angreifen wollte.

Aber er war so fest von den Riesen überzeugt, daß er weder nach der Stimme seines Stallmeisters Sancho hörte, noch etwas anderes sah, ob er ihnen gleich schon ganz nahe gekommen war, vielmehr rief er jetzt mit lauter Stimme: entflieht nicht, ihr feigherzigen und niederträchtigen Kreaturen, ein einziger Ritter ist es, der euch die Stirn beut!

Indem erhob sich ein kleiner Wind, der die großen Flügel in Bewegung setzte; als Don Quixote das gewahr wurde, fuhr er fort:

Strecktet ihr auch mehr Arme aus als der Riese Briareus, so sollt ihr es dennoch bezahlen!

Und indem er dies sagte und sich mit ganzer Seele seiner Gebieterin Dulcinea empfahl, die er anflehte, ihm in dieser Gefährlichkeit zu helfen, wohl von seinem Schilde bedeckt, die Lanze im Haken eingelegt, sprengte er mit dem Rosinante im vollen Galopp auf die vorderste Windmühle los und gab ihr einen Lanzenstich in den Flügel, den der Wind so heftig herumdrehte, daß die Lanze in Stücke zersprang, Pferd und Reiter aber eine große Strecke über das Feld weggeschleudert wurden.

Sancho Pansa trabte mit der größten Eilfertigkeit seines Esels herbei und als er hinzukam, fand er, daß Don Quixote sich nicht rühren konnte, so gewaltig war der Sturz, den Rosinante getan hatte.

Gott stehe uns bei!, sagte Sancho, sagte ich‘s euer Gnaden nicht, daß ihr achtgeben möchtet, was ihr tätet und daß es nur Windmühlen wären, die ja auch jeder kennen muß, wer nicht selber welche im Kopfe hat!

Gib dich zur Ruhe, Freund Sancho, antwortete Don Quixote, das ist Kriegsglück, das am meisten von allen Dingen dem ewigen Wechsel unterworfen ist; umsomehr, da ich glaube und es auch gewiß wahr ist, daß eben der weise Freston, der mir mein Zimmer und meine Bücher geraubt hat, mir auch jetzt diese Riesen in Mühlen verwandelt, um mir den Ruhm ihrer Besiegung zu entreißen.

So groß ist die Feindschaft, die er zu mir trägt. Aber endlich, endlich wird er doch mit all seinen bösen Künsten nichts gegen die Tugend meines Schwertes vermögen! - (don)

Riese (4) Akromegalie ist eine Krankheit der Hirnanhangsdrüse. Neben Riesenwuchs können symptomatisch Müdigkeitsanfälle und Sehschwächen auftreten, der so genannte Tunnelblick.

Mounir wuchs auf in der Kleinstadt Aïn Touta, die ersten zehn Jahre seines Lebens genoss er den Luxus der Normalität. Er war wie alle, er war glücklich. Dann ging es los.

Mit 11 überragte er seinen Bruder, zwei Jahre älter als er. Mit 12 überholte er seine Schwester, sieben Jahre älter. Mit 13 überragte er seinen Vater, und er wuchs weiter, weiter.

Oft war er müde, die Eltern nahmen ihn von der Schule, brachten ihn zum Arzt. Mounir wurde am Kopf operiert, um den Hormonausstoß der Drüse zu stoppen, vergebens. Er bekam 31 Bestrahlungen, seitdem wächst ihm kein Bart. Mounir, der Riese mit dem Kindergesicht, wuchs weiter, er litt unter Rückenschmerzen, unter Sehstörungen. Manchmal war die Welt ein dunkles Etwas, als würde er in einen Tunnel blicken: War das sein Schicksal?

Die Eltern verboten ihm das Fußballspielen, Mounir schloss sich oft in seinem Zimmer ein, lag auf dem Bett und wuchs. Mit 16 bückte er sich unter den Türen hindurch. Mit 17 fuhren sein Vater und er nach Khenchela. Wo ein Schreiner, kopfschüttelnd, Mounirs Maße nahm und ein extrastabiles Riesenbett baute. Der Schreiner berechnete nichts für die Arbeit, er hatte Mitleid.

Mounir war etwa 20, als eine Messung im Hospital von Aïn Adja 2,44 Meter ergab. Seine Anzuggroße liegt bei 160, die Schuhgröße bei 64, statt Socken trägt er Fußballstutzen. Er hält Diät, wegen seines Rückens darf er nicht dick werden, schon jetzt wiegt er 180 Kilo, dafür sind Bandscheiben nicht geschaffen. - Ralf Hoppe, Der Spiegel 2 / 2003

Riese (5) VOrzeiten 'in die illa', da treizehenelenbogige reysende oder reissende Risen, Recken, Giganten oder Wiganten waren, vnnd Groß Christoffelgmäse Langurionen, Langenlänter, Langdärmige Longherri, Lange-Schröter, Langgamba, Blattfuß, Patagonische Pfalkränch, Alzenfidler, Asperian, Pusolt, Strausfüssige Staudenfüß vnd Schrutthanen, ha, da war nur die sag von Zwerchen Elberich, Rauch Elsen auffwartern, König Laurin, des Herman von Sachssenheim Eckartszwerch, Amadis Nainchen, vnd solchen Spinnenstubischen Bergmänlin, Elnhohen Kranchshelden, vierspannigen Juden inn Arabischen gebürgen, deren Hercules für flöh zwölff Schilling in ein nackenden busen schob, als sie jhm zwischen den beynen vmbgiengen zu grob, vnd jm die Hünerstang oder das Daubenstänglin vnterstützten, darauff zusitzen, vnnd zum Taubenschlag vnd hinderm Badstubenthürlin auß vnnd ein zuplitzen: ja von solchen treckbatzen, Kruckäntlin, Kotäntlin, Muckenscheisserlin, Hafenguckerlin, Schnackenstecherlin, Geyßnopperlin, Wollenzupfferlin, Benckmauserlin, Nancken, Bulcken, Mäußfüßlin, Erdtelberlin, Zaunschlipferlin, Nußbengelin, Reiffspringerlin, Froschhupfferlin, Kurtgamberle, Hauptleut Gerngroß, Holla wa tregt der Tegen den Man hin, vnnd andern dergleichen mißgewächssen, die man an eim Rost erhieng, vnd hopffen im Bachofen treschen könten, deren neun inn einer Spinnwepp behangen möchten, vnnd wann sie auff den Meulen oder Pantoffeln herschlappen, diesen vortheil haben, daß sie weder Stümpff noch Mäntel betreppen, sonder den treck vber den kopf außschlaudern: von solchen Bachofentrescherlein vnd Ballenspilerlein inn eim Hellhafen gieng allein damals die sag: Gleich wie heut zu tag, da Treikniehohe leut fallen, vnnd hohe hertzen auf eim nidern gerüst, sagt man hingegen von Risen vnd Haunen, zeigt jhr gebein in den Kirchen, vnter den Rahtsheusern, jhre Nimrotische spiß, Stälin Stangen, Goliatische Weberbäum, Starckarterisch Degen, Palladisch Schäfelin, Hörnenseifrige Wurmstecher, Durandal, Rolanden, etc. Welches ein anzeigung gibt heutiger vnvollkommenheit, daß die Leut wie erfrorene oder erdörrte Fröschleych, Roßnagel vnnd Hauptbrüchel nicht mehr zu rechtzeitiger grösse gelangen. - (fisch)

Riese (6)    In einem satirischen englischen Roman des vorigen Jahrhunderts hat sich ein gewisser Gulliver im Lande der Liliputaner, wo die Menschen nur einige Zoll groß waren, so daran gewöhnt, sich für einen Riesen zu halten, daß er auch in den Straßen Londons unwillkürlich den Fußgängern und Kutschen zurief, sie sollten sich vorsehen und ihm ausweichen, damit er sie nicht versehentlich zertrete, denn in seiner Vorstellung war er immer noch der Riese unter Däumlingen. Da lachte man ihn aus und schimpfte auf ihn, und rohe Kutscher schlugen sogar mit der Peitsche nach dem vermeintlichen Riesen. - Fjodor M. Dostojewski, Die Dämonen. Darmstadt 1979 (zuerst 1871/72)

Riese (7)  Bei branntwein und kuhmilch sitzt Thrym in hölzerner halle und läßt sich das mächtige haupt lausen. Seine schöne Schwester, Heimskrakla die goldsüchtige, besorgt diesen liebesdienst. Lausloser Thrym, was soll solch spiel? Thrym hat keine eigene frau; Heimskrakla schaltet und waltet in halle und hof, ist herrin der schwanenherde, der habichtsschwärme, der adlernester auf dem himmelstürmenden dach von Thrymsgard. Wer aber besorgt das seidenbedeckte stroh deines lagers, oh Thrym? Die sitten der riesen, wie sind sie? Wohl hat es mägde aus kleinrem geschlecht: eiersucherinnen, wermutpflückerinnen, beobachterinnen für morcheln und krause hennen, ringwä-scherinnen, zigarrendreherinnen - allein, was soll der mächtige Thrym mit flachshaarigen Zwerginnen aus den warmen höhlen der gebirge des Nordlands? Thrym fühlt die finger der Schwester und denkt an die rosigen dornen der Freya... - H. C. Artmann, Die heimholung des hammers. In: H.C.A., Was sich im Fernen abspielt. Salzburg 1995 (zuerst 1977)

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VB
Ungeheuer
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