ecke    Stellen Sie sich einen Mann von hünenhaftem Wuchs vor. Auf einem massigen Rumpf sass, ein wenig schief, ohne jedes Anzeichen von Hals, ein gewaltiges Haupt; ein ganzer Schober wirrer, gelbgrauer Haare türmte sich auf ihm und begann schon fast bei den zerzausten Augenbrauen. Aus der breiten Fläche des grau-bläulichen, gleichsam gehämmerten Gesichts ragte eine kräftige Nase wie ein Zapfen hervor, hochmütig blickten beiderseits winzige blaue Augen, und unter der Nase öffnete sich ein ebenso kleiner, aber schiefer, rissiger Mund, der von gleicher Farbe wie das Gesicht war. Die Stimme, die aus diesem Munde drang, war zwar heiser, aber ausserordentlich kräftig und laut. Ihr Klang erinnerte an das Gerassel von Eisenstangen auf einem Lastwagen, der auf einer holprigen Strasse fährt. Wenn Charlow sprach, meinte man, er schreie jemandem bei starkem Wind über eine breite Schlucht etwas zu. Es war schwer zu sagen, was Charlows Gesicht eigentlich ausdrückte, so breitflächig war es. Mit einem einzigen Blick erfasste man es nicht. Aber unsympathisch war es nicht - sogar eine gewisse Grösse und Würde kamen in ihm zum Ausdruck, nur dass es eben gar zu sonderbar und ungewöhnlich wirkte. Und erst seine Hände - die reinsten Kissen! Diese Finger, diese Füsse! Ich entsinne mich, dass ich nicht ohne ein gewisses ehrfürchtiges Grauen Martyn Petrowitschs zwei Ellen langen Rücken und seine Schultern betrachtete, die Mühlsteinen ähnelten. Aber besonders beeindruckten mich seine Ohren, die reinsten Kringel mit Verschlingungen und Windungen, von den beiden Backen gestützt und gehalten.

Winter wie Sommer trug Martyn Petrowitsch einen mit einem tscherkessischen Riemen umgürteten Kosakenrock aus grünem Tuch und Schmierstiefel. Ein Halstuch habe ich nie an ihm gesehen, und um was hätte er es auch binden sollen? Er holte tief und mühsam Atem wie ein Stier. Sein Gang war geräuschlos. Man konnte meinen, dass er beim Betreten eines Zimmers fürchtete, alles zu zerschlagen und umzustürzen, und dass er sich deshalb so behutsam von einer Stelle zur andern bewegte, zumeist schräg und gleichsam schleichend.

Er verfügte über eine wahrhaft herkulische Kraft und genoss deshalb in weitem Umkreis hohes Ansehen. Unser Volk besitzt bis heute Ehrfurcht vor Recken. Sogar Legenden bildeten sich um ihn. Man erzählte, dass er einmal im Walde auf einen Bären stiess und mit ihm gerungen habe. Als er in seiner Imkerei einen fremden Bauern traf, der stehlen wollte, habe er ihn mitsamt Pferd und Wagen über den Zaun geschleudert, und dergleichen. Charlow selbst brüstete sich nie mit seiner Kraft. ‹Wenn meine Hand so gesegnet ist›, sagte er, ‹dann ist es eben Gottes Wille !› - Iwan Turgenjew, Ein König Lear der Steppe, in: I.T., Meistererzählungen. Zürich 1973 (zuerst ca. 1880)

Recke (2) Frank MacShane behauptet oder deutet an, daß die viktorianische Erziehung Chandlers bestimmend für sein Leben und seine Schriften gewesen sei. Er meint, daß die Moral des Schriftstellers in seiner Beschreibung von Los Angeles und der Welt sowie in der Person von Philip Marlowe zu erkennen sei, ein moderner Recke, der in Not geratene Fräuleins rettet und - nachdem Carmen Sternwood sich ihm in ihrem Bett angeboten und er sie zurückgewiesen hat (Le Grand Sommeil) - auch zu einer erstaunlich heftigen Reaktion fähig ist (er zerreißt die Bettwäsche).  - Jean-Patrick Manchette, Chroniques. Essays zum Roman noir. Heilbronn 2005 (DistelLiteraturVerlag, zuerst 1996)
 
 

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