echtsprechung  In der Zeit des König Grembitos zog ein armer Bauer mit seiner Gattin auf der Straße dahin. Die Gattin war schwanger und ritt auf einem Esel. Während sie so dahinzogen, erschien vor ihnen ein anderer, reicher Mann, der auf einem Pferd galoppierte. Als der Esel das galoppierende Pferd erblickte, fürchtete er sich, sprang von der Straße und geriet in den Graben, der längs der Straße verlief - mit der Frau. Der Gatte sah das, zog den Säbel aus der Scheide und hieb den Schweif des Pferdes ab. Der Reiter und der Gatte der Frau zogen vor Gericht und begaben sich zum König. Der König sagte dann:

»Warum verklagt Ihr einander?« und befragte sie. Der Gatte der Frau sprach folgendermaßen:

»Majestät, ich hatte meine Gattin auf einen Esel geladen. Während wir zusammen die Straße entlangzogen, begegnete uns dieser Mann, auf seinem Pferd galoppierend. Er erschreckte unseren Esel. Unser verängstigter Esel warf meine Gattin in den Graben. Und sie vergoß Blut und stieß den Sohn heraus, den sie im Leib trug. Ich wünsche meinen Sohn, der so gestorben ist!«

So sprach er:

»Und was wünschst Du?« sprach der König zum Reiter. Der Reiter sprach folgendermaßen:

»Es war Zufall, daß ich auf der Straße galoppierte und daß die Gattin dieses Mannes, als sie mein Pferd sah, herabfiel. Ich habe es nicht etwa mit Absicht getan. Der Gatte hingegen hat absichtlich zu meinem Schaden den Schweif meines Pferdes abgehauen. Ich wünsche den Schweif meines Pferdes, der zu meinem Schaden abgehauen wurde!«

So sprach er. Nachdem der König die beiden Gegner gehört hatte, sprach er folgendermaßen das Urteil:

»Du, gib das Pferd jenem Mann, der den Schweif Deines Pferdes abgehauen hat. Es bleibe in seinem Hause, bis daß ihm von neuem der Schweif wachsen wird! Er gebe ihm zu fressen! Du, gib ihm Deine Gattin, denn Deine Gattin hat den Sohn, den sie im Leib hatte, wegen jenes Mannes ausgestoßen! Sie bleibe in seinem Hause so lange, bis sie erneut schwanger sein wird. Er gebe ihr zu essen!«

So sprach er Recht. Das erzählt man sich.  - Märchen aus Äthiopien. Hg. C. Detlev G. Müller. München 1992 (Diederichs, Märchen der Weltliteratur)