at suchen  Man kann  nicht herumschauen, da Dr. Steiner  einen mit seinem Blick immer zu halten versucht. Tut er es aber einmal nicht, so muß man auf die Wiederkehr des Blickes aufpassen. Er beginnt mit einigen losen Sätzen: Sie sind doch der Dr. Kafka? Haben Sie sich schon länger mit Theosophie beschäftigt?

Ich aber dringe mit meiner vorbereiteten Ansprache vor: Ich fühle, wie ein großer Teil meines Wesens zur Theosophie hinstrebt, gleichzeitig aber habe ich vor ihr die höchste Angst. Ich befürchte nämlich von ihr eine neue Verwirrung, die für mich sehr arg wäre, da eben schon mein gegenwärtiges Unglück nur aus Verwirrung besteht. Diese Verwirrung liegt in Folgendem: Mein Glück, meine Fähigkeiten und jede Möglichkeit, irgendwie zu nützen, liegen seit jeher im Literarischen. Und hier habe ich allerdings Zustände erlebt (nicht viele), die meiner Meinung nach den von Ihnen, Herr Doktor, beschriebenen hellseherischen Zuständen sehr nahestehen, in welchen ich ganz und gar in jedem Einfall wohnte, aber jeden Einfall auch erfüllte und in welchen ich mich nicht nur an meinen Grenzen fühlte, sondern an den Grenzen des Menschlichen überhaupt. Nur die Ruhe der Begeisterung, wie sie dem Hellseher wahrscheinlich eigen ist, fehlte doch jenen Zuständen, wenn auch nicht ganz. Ich schließe dies daraus, daß ich das Beste meiner Arbeiten nicht in jenen Zuständen geschrieben habe. - Diesem Literarischen kann ich mich nun nicht vollständig hingeben, wie es sein müßte, und zwar aus verschiedenen Gründen nicht. Abgesehen von meinen Familienverhältnissen könnte ich von der Literatur schon infolge des langsamen Entstehens meiner Arbeiten und ihres besonderen Charakters nicht leben; überdies hindert mich auch meine Gesundheit und mein Charakter daran, mich einem im günstigsten Falle Ungewissen Leben hinzugeben. Ich bin daher Beamter in einer sozialen Versicherungsanstalt geworden. Nun können diese zwei Berufe einander niemals ertragen und ein gemeinsames Glück zulassen. Das kleinste Glück in einem wird ein großes Unglück im zweiten. Habe ich an einem Abend Gutes geschrieben, brenne ich am nächsten Tag im Bureau und kann nichts fertigbringen. Dieses Hinundher wird immer ärger. Im Bureau genüge ich äußerlich meinen Pflichten, meinen innern Pflichten aber nicht, und jene nichterfüllte innere Pflicht wird zu einem Unglück, das sich aus mir nicht mehr rührt. Und zu diesen zwei nie auszugleichenden Bestrebungen soll ich jetzt die Theosophie als dritte führen? Wird sie nicht nach beiden Seiten hin stören und selbst von beiden gestört werden? Werde ich, ein gegenwärtig schon so unglücklicher Mensch, die drei zu einem Ende führen können? Ich bin gekommen, Herr Doktor, Sie das zu fragen, denn ich ahne, daß, wenn Sie mich dessen für fähig halten, ich es auch wirklich auf mich nehmen kann.

Er hörte äußerst aufmerksam zu, ohne mich offenbar im geringsten zu beobachten, ganz meinen Worten hingegeben. Er nickte von Zeit zu Zeit, was er scheinbar für ein Hilfsmittel einer starken Konzentration hält. Am Anfang störte ihn ein stiller Schnupfen, es rann ihm aus der Nase, immerfort arbeitete er mit dem Taschentuch bis tief in die Nase hinein, einen Finger an jedem Nasenloch. - Franz Kafka, Tagebücher (3. Dezember 1911) Frankfurt am Main 1967

Rat suchen  (2) Ganz in ihrer Nähe hauste ein berühmter Derwisch, der als der gewiegteste Philosoph in der ganzen Türkei galt. Zu dem begaben sie sich, um seinen Rat einzuholen. Pangloß führte das Wort und sprach: »Meister, wir kommen zu dir, um dich zu fragen, warum und zu welchem Behuf ein so absonderliches Geschöpf wie der Mensch eigentlich geschaffen ist.«

»Was kümmert dich das ?« erwiderte der Derwisch. »Geht es dich etwas an ?« - »Aber, hochwürdiger Vater«, sagte nun Candide, »es gibt so schauderhaft viel Unglück auf Erden.« -»Was schert es dich«, versetzte der Derwisch, »ob es Unglück gibt oder Glück? Wenn Seine Hoheit, der Sultan, ein Schiff nach Ägypten entsendet, macht er sich dann Sorgen darüber, ob sich die Mäuse darauf wohl fühlen oder nicht?« - »Was ist also zu tun?« fragte Pangloß. - »Halt den Mund!« riet der Derwisch. - »Ich hatte gehofft, ich könnte mit Ihnen ein wenig über Wirkungen und Ursachen, über die beste aller möglichen Welten, über den Ursprung des Bösen, das Wesen der Seele und die prästabilierte Harmonie schwätzen«, entgegnete Pangloß. Da schlug ihm der Derwisch die Tür vor der Nase zu. - Voltaire, Candide oder Der Glaube an die beste der Welten, nach (vol2)

Rat suchen  (3) Mit Tränen auf seinen Wangen und mit einem harten Schmerz in seinem Herzen schlief er ein und kam endlich dorthin, wo sein Vater in einem Alkoven saß, der in eine Wolke geschnitzt war.

»Vater«, sagte er, »ich bin durch die Welt gewandert und habe mich nach etwas umgesehen, was wert ist, geliebt zu werden, aber ich habe es weggetrieben und gehe nun von Ort zu Ort, klage über meine Häßlichkeit, höre meine eigene Stimme in den Stimmen der Feldvögel und der Frösche, sehe mein eigenes Gesicht in den durchlöcherten Gesichtern der Tiere.«

Er streckte seine Arme aus und wartete, daß Worte aus jenem alten Mund fallen mögen, der unter einem weißen, tränenvereisten Bart verborgen war. Er flehte den alten Mann an, zu sprechen.

»Sprich zu mir, zu deinem Sohn! Denk daran, wie wir miteinander auf den Terrassen die klassischen Bücher gelesen haben. Oder wie du auf einer irischen Harfe an den Saiten gezupft hast, bis die Gänse schnatternd in die Luft aufflogen, wie die Sieben Gänse des Wandernden Juden. Vater, sprich du zu mir, deinem einzigen Sohn, einem Verlorenen Sohn aus den Grünflächen der kleinen Städte, verloren in den Gerüchen und Geräuschen der großen Stadt, in der dornigen Wüste und im tiefen Meer. Du bist doch ein weiser alter Mann!«

Er flehte den alten Mann an, zu sprechen, aber als er näherkam und ihm ins Gesicht starrte, sah er die Totenflecken auf Mund und Augen und ein Mäusenest im Gewirr des gefrorenen Bartes. - (echo)

 

Rat, guter Fragen

 

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