uälen
Die Qual, die die Seelen der Verdammten
in der Hölle erleiden, ist die Qual des Gewissens.
Wie im toten Leib durch Fäulnis Würmer erzeugt werden,
so wird auch in den Seelen der Verlorenen durch Fäulnis der Sünde ewige
Gewissensqual erzeugt, der Stachel des Gewissens, der Wurm mit dem dreifachen
Stachel, wie Papst Innozenz
III. es nennt. Und wenn der grausame Wurm zum erstenmal sticht, wird in den
Verdammten die Erinnerung an vergangene Freuden wach. Oh, wie schrecklich ist
diese Erinnerung! In dem alles fressenden Flammenmeer denkt der stolze König
an die Pracht seines Hofes, der böse Weise an seine Bücher und Instrumente,
der Kunstliebhaber an seine Marmorbüsten, Bilder und andere Kunstschätze; wer
sich den Freuden der Tafel hingab, denkt an seine üppigen Feste, die herrlich
zubereiteten Speisen, die auserwählten Weine; der Geizige denkt an seinen Goldschatz,
der Räuber an seinen unrechtmäßig erworbenen Reichtum; die bösen, rachsüchtigen
und grausamen Mörder denken an ihre Blut-und Gewalttaten, in denen sie schwelgten,
die Schamlosen und Ehebrecher an die unaussprechlich schmutzigen Vergnügen,
denen sie frönten. An all dies denken sie und empfinden Ekel vor sich selbst
und ihren Sünden. Denn wie erbärmlich werden jetzt alle diese Vergnügen der
Seele erscheinen, die dazu verurteilt ist, für alle Ewigkeit im Feuer der Hölle
zu brennen! Wie werden sie wüten und fluchen, wenn sie jetzt daran denken, daß
sie die himmlische Seligkeit verloren haben um den Schmutz der Erde, ein paar
Stücke Metall, eitle Ehren, körperliches Wohlbehagen, um einen Nervenkitzel.
Sie werden Reue empfinden: und jetzt sticht der Wurm des Gewissens zum zweitenmal,
denn die Reue über begangene Sünde kommt zu spät, ist furchtlos. Die göttliche
Gerechtigkeit will es, daß die elenden Verstoßenen immer und immer an die Sünden
denken, deren sie schuldig waren; außerdem aber verleiht ihnen Gott, wie der
Heilige Augustin bemerkt, seine eigene Kenntnis der Sünde, so daß die Sünde
ihnen in all ihrer gräßlichen Gemeinheit erscheint, wie sie den Augen Gottes
selbst erscheint. So sehen sie denn ihre Sünden in ihrer ganzen Verruchtheit
und bereuen sie; aber es ist zu spät, und sie jammern nun, daß sie alle Gelegenheiten,
die Gott ihnen bot, außer acht ließen. Und jetzt sticht der Wurm des Gewissens
zum drittenmal: der Stich ist der tiefste, der grausamste. Das Gewissen spricht:
Du hattest Zeit und Gelegenheit zur Reue, aber du wolltest
nicht. Deine Eltern zogen dich auf im Glauben. Dir halfen die Sakramente, die
Gnade und die Nachsicht der Kirche. Der Diener Gottes
predigte dir, rief dich zurück, wenn du in die Irre gingst, wollte die Sünden,
einerlei wie viele, wie schwere, vergeben, wenn du sie nur bereutest und beichtetest.
Aber du hörtest nicht. Du lachtest über die Diener der heiligen Religion, wandtest
dem Beichtstuhl den Rücken, schwelgtest in immer tieferem Sündenpfuhl. Gott
rief dich, drohte dir, flehte dich an, zurückzukehren zu ihm. O Schande, o Jammer!
Der Herrscher des Universums flehte dich an, dich, der du geschaffen wurdest
aus Lehm, ihn zu lieben, der dich schuf, sein Gesetz zu halten. Aber du wolltest
nicht. Und könntest du jetzt noch weinen und überschwemmtest du mit deinen Tränen
die ganze Hölle, so gewänne dir doch dieses ganze Meer der Reue nicht, was eine
einzige Träne echter Reue in deinem sterblichen Leben für dich gewonnen hätte.
Jetzt jammerst du nach einem Augenblick irdischen Lebens, um zu bereuen: umsonst.
Die Zeit ist vorbei, vorbei für immer.
- James Joyce, Jugendbildnis des Dichters. Frankfurt am Main 1967
(zuerst 1916)
|
||
![]() |
||
![]() |
![]() |
|
![]() |
||
|
|
|
![]() ![]() |
![]() ![]() |