Psychopath   Er stellte mir die Frage, die sie einem alle stellen: »Warum glauben Sie, daß Sie Narkotika unbedingt brauchen, Mr. Lee?«

Wenn einer mit so einer Frage ankommt, kann man sicher sein, daß er von Junk keinen blassen Schimmer hat.

»Ich brauch das Zeug, um morgens aus dem Bett zu kommen, um mich rasieren zu können und ein Frühstück runterzukriegen.«

»Ich meine psychisch.«

Ich zuckte die Achseln. Besser, ich sag ihm gleich, was er hören will, damit ich ihn schnell wieder los bin, dachte ich.

»Es ist ein guter Kick«, sagte ich.

Junk ist kein »guter Kick«. Seine wesentliche Eigenschaft ist, daß es zur Sucht führt. Was Junk wirklich ist, weiß man erst, wenn man einen Entzug durchmacht.

Der Doktor nickte. Psychopathische Persönlichkeit. Er stand auf.

Plötzlich verzog er sein Gesicht zu einem Lächeln, das anscheinend Verständnis suggerieren und meine inneren Widerstände abbauen sollte. Das Lächeln entgleiste und verwandelte sein Gesicht in eine wahnwitzige lüsterne Fratze. Er beugte sich vor, bis seine Fratze dicht vor meinem Gesicht hing.

»Ist Ihr Geschlechtsleben zufriedenstellend?«, fragte er. »Haben Sie und Ihre Frau befriedigende sexuelle Beziehungen?«

»Ja sicher«, sagte ich. »Wenn ich nicht auf Junk bin.«

Er richtete sich wieder auf. Meine Antwort ging ihm völlig gegen den Strich.

»Na schön, wir sehen uns ja noch.« Er errötete und drückte sich linkisch aus der Tür.  - (jun)

Psychopath (2)

Psychopath (3)   Fleck hatte mehr oder weniger durch Zufall entdeckt, wie angenehm und entspannend es war, mit ordentlichen Leuten zu reden. Das war, als er die Idee hatte, es wäre doch schön für Mama, einen von diesen kleinen Kühlschränken auf ihrem Zimmer zu haben. Ihm war einer zwischen den Kleinanzeigen aufgefallen, er hatte angerufen und ein freundliches Gespräch mit der Dame geführt, die ihn verkaufte. Mama hatte den kleinen Kühlschrank raus auf den Flur geschmissen und kaputt gemacht, aber Fleck hatte sich an den Plausch erinnert. Und so war es allmählich zu einer Gewohnheit geworden. Zuerst tat er es nur, wenn er das Bedürfnis hatte, auf andere Gedanken zu kommen. Aber in den letzten paar Jahren hatte er es fast jeden Abend gemacht. Außer samstags. Die Leute mochten es nicht, wenn man sie am Samstag anrief. Mit zunehmender Praxis hatte er gelernt, auf welche Anzeigen er anrufen und wie er das Gespräch in Gang halten konnte. Nach drei oder vier solcher Anrufe konnte Fleck schlafen. Mit einem normalen Menschen zu reden brachte ihn auf andere Gedanken. - Tony Hillerman, Die sprechende Maske. Reinbek bei Hamburg 2001

Psychopath (4)  «Ich hab keine Zeit, alle Verästelungen meiner Persönlichkeit im einzelnen zu erörtern; dazu ist sie zu komplex. Ich bin immer wieder getestet worden, und es kommt immer auf dasselbe heraus. Psychopath. Und weil ich kriminell bin, bin ich ein krimineller Psychopath. Kannst du mir folgen?»

«Ja, ich denke schon. Aber wenn Sie nicht verrückt smd, was sind Sie dann?»

«Ich hab's dir doch schon gesagt. Ich kenne den Unterschied zwischen Recht und Unrecht, aber es ist mir egal. Wenn ich was Rechtes sehe und ich es tun wil!, dann tue ich's, und wenn ich was Unrechtes sehe und es tun will, dann tue ich's ebenfalls.»

«Sie meinen, Sie können dann nicht anders?»

«Klar kann ich anders. Ich will's mal so ausdrücken: Ich kann auch anders, aber es ist mir scheißegal.»

«Und weil es Ihnen scheißegal ist, sind Sie ein krimineller Psychopath, richtig?»

«So ist es.»

«Aber warum —» Stanley machte eine ausladende Gebärde mit dem Arm «— warum ist es Ihnen scheißegal?»

«weil ich ein krimineller Psychopath bin. Wenn sie dich mal ein bißchen testen, stellt sich vielleicht raus, daß du auch einer bist.»

«Nein, ich bin ein verantwortungsbewußter Mensch, Robert. Ich habe mein Leben lang hart gearbeitet, habe gut für meine Frau und meinen Sohn gesorgt, und ich habe den Jungen sogar aufs Junior College gehen lassen. Ich habe ein Haus oben in Dctroit, und mein Haus hier in Florida gehört mir auch. Ich habe nie im Leben etwas Unrechtes getan, außer - na ja, von Kleinigkeiten will ich jetzt mal nicht reden.»

«Auch wenn sie dich testen, Pop, wirst du nicht erfahren, was dabei rauskommt. Das sagen sie einem nie. Ich mußte einem Mann in Folsom zwei Stangen Chcsterfield geben, um eine Kopie von meiner medizinischen Akte zu kriegen. Daher weiß ich es. Sonst wüßte ich gar nicht, daß ich ein krimineller Psychopath bin, und ich würde denken, ich benehme mich merkwürdig, statt mich normal zu verhalten. Ich lese viel, mußt du wissen, selbst wenn ich im Gefängnis bin.»  - Charles Willeford, Seitenhieb. Reinbek bei Hamburg 1996

 

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