PSI   Von weit entfernten Instituten, bis aus Bristol, ist man schon hergepilgert, um die Freaks in der Psi-Sektion zu bestaunen, zu vermessen und systematisch zu bezweifeln. Zum Beispiel Ronald Cherrycoke, den Psychometriker, der, leicht mit den Augen flatternd, seine Hände immer gerade einen Zoll über der Schachtel schweben läßt, die in braunes Packpapier gewickelt ist und Aufzeichnungen aus den ersten Kriegsjahren, eine dunkel kastanienfarbene Krawatte, einen defekten Schaeffer-Füller und ein fleckiges Pincenez aus Weißgold enthält, alles aus dem Besitz eines Group Captain namens «Knaller» St. Blaise, der weit im Norden Londons stationiert ist ... und von dessen intimsten Gedanken dieser Cherrycoke, ein ganz normal aussehender Bursche, vielleicht mit etwas Übergewicht, nun in singendem Midland-Akzent zu erzählen beginnt, von der Angst wegen des Haarausfalls, der Leidenschaft für Donald-Duck-Trickfilme, dem Vorfall während des Angriffs auf Lübeck, den nur der Group Captain und sein inzwischen toter Flügelmann gesehen und den sie übereinstimmend nicht zu melden beschlossen hatten - nichts, was die Sicherheitsbestimmungen verletzt hätte, aber St. Blaise muß es bestätigen, mit einem baffen Grinsen, zugegeben, ihr habt mich rangekriegt, aber nun sagen Sie schon: Wie haben Sie das gemacht? Ja, wie macht Cherrycoke das? Wie machen's die anderen? Wie kriegt Margaret Quartertone diese Stimmen auf Platten und Bänder, da sie doch meilenweit entfernt ist, den Mund nicht aufmacht und keinerlei Gerät berührt? Wer sind die Sprecher, die sich da versammeln? Woher kommen die fünfstelligen Zahlenkolonnen, die Reverend Dr. Paul de la Nuit, Kaplan und Stabs-Automatist, nun schon seit Wochen niederschreibt, ohne daß es den Kryptologen in London zu gelingen scheint, ihr Geheimnis zu enträtseln? Was bedeuten Edwin Treacles jüngste Träume vom Fliegen, zumal in zeitlicher Beziehung zu Nora Dodson-Trucks Träumen vom Fallen? Was bahnt sich zwischen ihnen allen an, das jeder dieser Käuze nur für sich bezeugen, doch nicht in Sprache, nicht einmal der Lingua franca der Büros, beschreiben kann? Turbulenzen im Äther, Unsicherheiten draußen im Wind des Karrna. Die Seelen jenseits der Zwischenfläche, die wir die Toten nennen, werden ängstlicher und scheuer. Selbst Carroll Eventyrs Kontrolle, der sonst so trockene, sarkastische Peter Sachsa, der ihn an jenem längst vergangenen Tag am Themseufer fand und sich seither seiner bedient hat, wann immer irgendwelche Botschaften zu übermitteln waren -ja, selbst Peter Sachsa ist nervös geworden.

In letzter Zeit, als wären sie alle auf die gleiche Welle X im Äther eingestimmt, haben sich völlig neue Sorten von bizarren Sonderlingen bei der «Weißen Visitation» eingefunden, zu allen Tages- und Nachtstunden, stumm, glotzend, voller Erwartung, daß man sich um sie kümmern werde, seltsame Apparate aus Metall und Glas im Arm, wächsern vor Trance oder hyperkinetisch auf das Stichwort lauernd, das sie mit schauderhaften 200 Worten pro Minute von ihren jeweiligen furchtbaren Fertigkeiten losrattern lassen würde. Eine Attacke. Was machen wir z. B. aus Gavin Trefoil, für dessen Begabung es noch nicht mal einen Namen gibt? (Rollo Groast plädiert iür Autochromatismus.) Gavin, der jüngste hier, erst siebzehn, ist in der Lage, durch reine Willenskraft eine seiner Aminosäuren, das Tyrosin, chemisch umzuwandeln. Dabei entsteht Melanin, das braunschwarze Pigment, das für die Hautfarbe des Menschen verantwortlich ist.   - Thomas Pynchon, Die Enden der Parabel. Reinbek bei Hamburg 1981

 

Wahrnehmung

 

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Wahrnehmung, übersinnliche