rivatsprache
Etwa 40 Prozent aller Zwillinge haben anfangs ihre private Sprache, eine
Sammlung entstellter Wörter und Wendungen, die sie untereinander im Scherz gebrauchen
oder wenn sie sich einsam fühlen. Wenn sie drei sind, geben sie diese Privatsprache
in der Regel auf. Es kommt aber auch vor, daß sie sich nicht von ihr trennen.
Ende der siebziger Jahre erregte in den Vereinigten Staaten der Fall Grace und
Virginia Kennedy Aufsehen. Die beiden Zwillingsschwestem waren mit sieben Jahren
in ein kalifornisches Krankenhaus eingeliefert worden, weil mit ihnen etwas
nicht in Ordnung war, sie aber offenbar zu intelligent waren, um in eine Sonderschule
für Schwachsinnige gesteckt zu werden. Sie brachten keinen englischen Satz heraus,
schnatterten jedoch untereinander in einer Privatsprache, die kein Mensch verstand
- »wie ein Tonbandgerät im Schnellgang«. Zuerst meinte man, es sei eine von
A bis Z erfundene Sprache: »Pinit putahtreletungay.« - »Nis Poto?« - »Liba Cabingoat
it.« - »la moa Poto ?« Der vereinten Bemühung mehrerer Linguisten gelang es
dann, sie doch zu entschlüsseln. Jener Wortwechsel etwa bedeutete: »Alle Kartoffelsalat
Hunger.« - »Dies, Poto [der private Spitzname der einen] ?« - »Liebe Cabingo
[der Spitzname der anderen], iß.« - »Hier mehr, Poto?« Es war ein stark entstelltes
und ziemlich kümmerliches Englisch, versetzt mit einigen deutschen Brocken.
Offenbar waren beide Mädchen stark vernachlässigt und meist allein oder in der
Obhut ihrer strengen deutschen Großmutter gelassen worden, die keinerlei Englisch
sprach; so hatten sie immer nur einander als Gesprächspartner gehabt. Im Krankenhaus
wurden sie getrennt und machten Fortschritte, aber auch nach einigen Jahren
der Rehabilitation waren sie sprachlich wie geistig weit hinter ihrem Alter
zurück. - Dieter E. Zimmer, Experimente des Lebens. Zürich 1989
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