rickeln  Berlin. 23. Januar 1930. Donnerstag  Vollmoeller erzählte prickelnd farbige Geschichten von der Marchesa Casati. Eine, die von Barbey d'Aurevilly hätte erfunden sein können. Von ihrem schönen, alten, in einem großen Garten gelegenen Louis-XV.-Hotel im Faubourg St. Germain ruft sie eines Nachts um drei den Kardinal-Erzbischof von Paris an und bittet, er möge sofort zu ihr kommen, sie müsse ihm unverzüglich eine sehr wichtige Mitteilung machen; es gehe um Leben und Tod ihrer Seele. Der Kardinal, der geweckt wird, weigert sich, mitten in der Nacht sich zu bemühen, und beauftragt schließlich nach längerem Parlamentieren einen Priester, der irgendeine Stellung bei ihm einnimmt, hinzugehen. Der Priester fährt vor, klingelt, wird eingelassen und durch eine Allee des dunklen Gartens auf das Haus zugeführt. Mitten in der Allee tritt ihm plötzlich völlig nackt, in jeder Hand einen Leuchter mit mehreren Kerzen emporhebend, die Casati entgegen und will eine lange Litanei aufsagen. Der Priester, ganz entsetzt, macht kehrt und flieht, als ob er eine Verkörperung des Bösen gesehen hätte, und am nächsten Tage erstattet der Kardinal eine Anzeige bei der Polizei gegen die Casati wegen Attentat à la pudeur und Gotteslästerung. Die Sache endet damit, daß die Casati auf sechs Monate in eine Nervenheilanstalt verschwindet. - Harry Graf Kessler, Tagebücher 1918 bis 1937. Hg. Wolfgang Pfeiffer-Belli. Frankfurt am Main 1982 (it 659)

Prickeln (2)  Ein großer grobknochiger, dunkelgesichtiger Mann unbestimmbaren Alters stand auf der Schwelle und blickte mit mildem Erstaunen auf ihn herab. Riemenschneider fühlte ein plötzliches Prickeln auf der Kopfhaut und eine unangenehme Kälte in seinen Händen, während ihn der große Mann mit seinen dunklen Augen musterte. »Ein übler Bursche«, sagte sich der kleine Doktor.

Ohne ein Wort schickte sich der Mann an, hinauszugehen; aber in diesem Augenblick kam Cobby zurück.

»Hallo, Dix!« sagte er und zwang den großen Mann, wieder ins Büro zu treten. »Was willst du?«

Dix warf einen Blick auf Riemenschneider, als ob ihm dessen Anwesenheit unwillkommen sei, und wieder spürte der kleine Doktor eine schwache, aber deutliche Aufwallung von Furcht. - W. R. Burnett, Asphaltdschungel. München u.a. 1963

Prickeln (3)  Ich erinnere mich an eine Nacht, als Herman und ich in der Klemme saßen und nur noch ein bißchen Codein-sulfat hatten. Herman kochte seine Portion als erster auf und schoß sich ein Gran in die Vene. Seine Haut wurde sofort violett, dann kreideweiß. Er bekam weiche Knie und setzte sich aufs Bett. »Meine Güte«, sagte er.

»Was hast du denn?«, fragte ich. »Das Zeug ist doch vollkommen in Ordnung.«

Er warf mir einen säuerlichen Blick zu. »So, meinst du? Dann probier's doch mal.«

Ich kochte ein Gran auf und holte mein Spritzbesteck heraus. Herman sah mir gespannt zu. Er saß immer noch auf dem Bett. Ich hatte die Nadel kaum aus dem Arm, da verspürte ich ein intensives und äußerst unangenehmes Prickeln, ganz anders als das Prickeln, das man nach einem guten Schuß Morphium hat. Ich spürte, wie mein Gesicht anschwoll. Ich setzte mich neben Herman aufs Bett. Meine Finger waren doppelt so dick als sonst.

»Na«, sagte Hermann, »isses immer noch in Ordnung?«

»Nein«, sagte ich.

Meine Lippen waren taub, als hätte ich einen Schlag auf den Mund erhalten. Ich hatte entsetzliche Kopfschmerzen. Ich begann im Zimmer auf und ab zu gehen, weil ich so eine vage Theorie hatte, daß man in Bewegung bleiben mußte, damit sich das Codein im Blutkreislauf verteilte.

Nach einer Stunde fühlte ich mich ein bißchen besser und legte mich schlafen. Herman erzählte mir, ein Partner von ihm sei einmal nach einem Schuß Codein blau geworden und habe das Bewußtsein verloren. »Ich hab ihn unter die kalte Dusche gestellt, und da kam er wieder zu sich.«

»Warum hast du mir das nicht gleich gesagt?«, wollte ich wissen.

Herman war plötzlich eingeschnappt. Ich verstand nicht, wieso. Aber bei ihm wußte man das ja nie.

»Naja«, fing er an, »auf ein bißchen was muß sich einer schon gefaßt machen, wenn er Junk spritzt.«- (jun)

Kitzel
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