Präsidentenersatz    Häufig  saß ich auf den Vortreppen der Tin Pan Alley herum, schlug die Nachmittage damit tot, den Proben der Berufsmusiker zu lauschen. Auch sie waren gut, aber anders. Es fehlte die Heiterkeit, es war nur ein dauerndes Geprobe, das Dollars und Cents einbringen sollte. Jeder Mensch in Amerika, der nur einen Funken Humor besaß, sparte ihn auf, um siec damit durchzubringen. Es gab wundervolle Käuze unter ihnen, Männer, die ich nie vergessen werde, Männer, die keinen Namen hinterließen und zu den Besten zählten, die dieses Land hervorbrachte. Ich erinnere mich an einen anonymen Darsteller aus der Keith-Truppe, der vermutlich der närrischste Kerl von Amerika war und dafür vielleicht fünfzig Dollar in der Woche bekam. Dreimal täglich trat er an jedem Tag in der Woche auf und schlug die Zuhörer in seinen Bann. Er hatte kein festes Programm, er improvisierte einfach. Nie wiederholte er seine Witze oder Tricks. Er verausgabte sich völlig und nahm dabei sicherlich keine Drogen. Er war einer von den Burschen, denen nichts etwas anhaben kann, und so -stark waren seine Energie und seine Lebenslust, daß nichts sie ein- , zudämmen vermochte. Er beherrschte jedes Instrument, kannte jeden Tanzschritt, konnte eine Geschichte aus dem Stegreif erfinden und sie bis zum Pausenzeichen ausspinnen. Er begnügte sich nicht mit seinem eigenen Auftritt, sondern half auch den anderen. Er stand in den Kulissen und wartete auf den richtigen Augenblick, in den Auftritt eines anderen Burschen einzugreifen. Er bestritt die ganze Vorführung, und es war eine Vorführung, die mehr Heilkraft besaß als das ganze Arsenal moderner Wissenschaft. Einem Mann wie ihm hätte man die Diäten zahlen sollen, die der Präsident der Vereinigten Staaten erhält. Man sollte den Präsidenten und den ganzen Obersten Gerichtshof entlassen und einen solchen Mann zum Regierungschef machen. Er hätte jedes Übel geheilt, das auf der Tagesordnung steht. Zudem war er ein Mann von dem Schlag, der es umsonst tat, wenn man ihn darum bat. So sieht der Menschentyp aus, der die Irrenhäuser leert. Er schlägt keine Kur vor - er bringt jeden aus dem Häuschen. Zwischen dieser Lösung und einem dauernden Kriegszustand, wie es die Zivilisation ist, gibt es nur noch einen Ausweg - nämlich den Weg, den wir schließlich alle einschlagen, weil alles andere zum Scheitern verurteilt ist. Der Menschentyp, der diesen einen und einzigen Weg verkörpert, hat einen Kopf mit sechs Gesichtern und acht Augen; dieser Kopf ist ein sich drehender Leuchtturm, und statt einer dreifachen Krone, wie es sehr wohl sein könnte, hat er ein Luftloch für das bißchen Gehirn, das vorhanden ist. Wie gesagt, es ist wenig Hirn da, denn das Gepäck ist sehr gering, weil die graue Substanz, wenn man bei vollem Bewußtsein lebt, sich in Licht auflöst. Es ist der einzige Menschentyp, den man über den Komödianten stellen kann; weder lacht er noch weint er, er ist über das Leiden hinaus. Wir erkennen ihn nicht: er ist uns zu nah, steckt uns direkt unter der Haut. Während der Komödiant unser Zwerchfell erschüttert, spricht dieser Mensch,  dessen Name, wenn  er einen Namen brauchte, wie ich glaube, Gott heißen konnte, die Dinge frei aus. Wenn die ganze Menschheit sich vor Lachen krümmt, ich meine, so sehr lacht, daß es wehtut, dann ist jeder auf dem rechten Pfad. In diesem Augenblick kann jeder ebensogut Gott sein wie etwas anderes. In diesem Augenblick wird das Bewußtsein doppelt, drei-, vier- und mehrfach ausgeschaltet, die graue Substanz oben im Schädel rollt sich in toten Windungen zusammen, das Gewissen wird augenblicklich zum Schweigen gebracht. In einem solchen Augenblick kann man wirklich das Loch im Schädel fühlen; man weiß, daß man dort einstmals ein Auge hatte und daß dieses Auge alles auf einmal aufnehmen konnte. Das Auge ist nun dahin, aber wenn man lacht, bis die Tränen kommen und der Bauch schmerzt, öffnet sich das Dachfenster, und das Gehirn wird gelüftet.  - (wendek)
 

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