rägung Wenn sich ein neuer romantischer Blick ergab, wandte Petrásek sich an die Gesellschaft mit den Worten: »Ist das nicht schön ? Das ist außerordentlich schön!« Das rief er so emphatisch, als wäre alles von ihm geschaffen, als hätte er die Felsenwelt von Prachov mit eigener Hand errichtet. Unter den Besuchern befand sich auch die Gattin des Postoffizials Skoda aus Königinhof. Sie brach immer wieder in den Ruf aus: »Das ist ein herrliches Werk des Schöpfers!«
Daraufwandte sich ein Realschullehrer aus Kuttenberg, der Atheist war, jedesmal der Gesellschaft zu und sagte mit Nachdruck: »Auch das Wasser hat dabei eine große Rolle gespielt.« Die junge Nichte des Herrn Postoffizials wiederholte immer von neuem: »Jeje«, und nur der Rittmeister der Nachschubtruppe machte ein böses Gesicht, als wollte er sagen: »Sie irren sich. All das ist ein Werk des Militärfiskus.« Dabei schlug er mit seinem Degen kräftig auf die Steine.
Vor ihnen tauchte eine neue Felsengruppe auf. Bizarre Gestalten bleckten die Gesellschaft an.
Hinkebein Petrásek räusperte sich und sagte: »Hier sehen Sie den Mönch Ringhold, dem ein Hund die Füße leckt. Der Felsen daneben stellt einen Maler mit seinem Pinsel dar, und dahinter ist eine Kirche, aus der eine Ziege herausschaut.« Der atheistische Lehrer sagte erfreut: »Ausgezeichnet!« Der Rittmeister aber spuckte aus und meinte: »Wissen Sie, wie dieser Felsen aussieht? Wie ein komplett ausgerüsteter Planwagen, Modell 1867/80.«
Ringsum herrschte betretenes Schweigen.
Der Rittmeister fuhr unbeirrt fort: »Und dort hinten, das ist keine Kirche, aus der eine Ziege herausschaut, das ist ein komplett ausgerüsteter und gepackter Kompanie-Munitionswagen, Modell 1886. Diese kleine Fichte daneben ist auch kein Malerpinsel, sie gehört vielmehr zu dem Wagen aus dem Jahre 1886 und ist seine Deichsel. Was Sie für einen Hund hielten, ist in Wirklichkeit der Tragbaum des hinteren Wagens, und wieder dahinter ist die Bremse. Das ist ganz klar.«
Der Freigeist meinte bescheiden: »Können wir vielleicht weitergehen ?«
So gingen sie also. Der Rittmeister war in seinem Element. Sie gingen auf einem Waldpfad hintereinander, der Rittmeister führte sie an, und inmitten all dieser Schönheit erklärte er ihnen, wieviel ein Pferd leistet und welche Fähigkeiten es hat, denn ein Pferd, das einen Meter in einer Sekunde zurücklegt, ist imstande, in neun bis zehn Stunden siebzig bis achtzig Kilogramm über eine Entfernung von zweiunddreißig bis sechsunddreißig Kilometern zu ziehen. Sie kamen an einen Wasserfall, blieben aber gar nicht stehen, denn der Rittmeister brüllte: »Fünfundsiebzig Kilogramm-Meter sind eine Pferdestärke. Wenn ich also in einer Sekunde fünfundsiebzig Kilogramm einen Meter hoch hebe, leiste ich eine Pferdestärke.« Rasch gingen sie durch die Felsenwelt. Vor einer Sandsteinformation blieb der Rittmeister stehen: »Hier sehen Sie das sogenannte Stangenblech, das eine große Rolle spielt, denn im Krieg von 1866 hatte der preußische Troß diese Stangenbleche so angebracht, daß man die Pferde gleich ausspannen konnte. Der Felsen gegenüber stellt einen Heuwagen dar. Sie sehen deutlich den vorderen und den hinteren Teil und erkennen gleich, daß es sich um ein altes System eines Heuwagens handelt, und zwar um ein Modell aus dem Jahre 1882. Heute ist der rückwärtige Teil etwas abgeschrägt. Das letzte Modell stammt aus dem Jahre 1898.« Der Rittmeister sah sich in der Felsenstadt um und rief dann freudig aus: »Ich habe es ja geahnt - das entsprechende Modell aus dem Jahre 1898 zeigt der Sandstein dort. Sie sehen die modernen Exsäulen, den Leiterschwung und das Bremsspindellager. Und dort der kleine Bach sieht aus wie das zerlegte Hinterteil eines Munitionswagens. Das gegenüberliegende Dickicht ist der Korb, der an den komplett ausgerüsteten und gepackten Kompanie-Munitionswagen, Modell 1886, angeschnallt wird.«
Nach diesen Ausführungen ließ sich der Rittmeister auf einen Stein nieder und fuhr fort: »Diese Körbe haben allerdings eine große Veränderung erfahren. Heute können wir von einer Stutzform sprechen. Ich bin jedoch davon überzeugt, daß alle zum Transport von Munition dienenden Wagen über kurz oder lang mit Kisten ausgestattet werden. Damit ich Ihnen das anschaulich erklären kann, weise ich Sie auf den gegenüberliegenden Felsen hin. Dort sehen Sie einen ähnlichen Wagen. Was von dem Felsen überragt, sind die Kisten, das Ganze aber ist der rückwärtige Teil des neuen Modells eines Munitionswagens. Denken Sie daran, daß niemals das fehlen darf, was man an diesem Sandstein hier leider nicht sehen kann: Bremskurbel, Bremsspindellager, Bremswelle, Bremshebel und Reibschuhe.
Unter Reibschuhen, um Ihnen das kurz zu erklären, versteht man die Kette,
die an den Wagen angedrückt wird, wenn das Gelände abschüssig ist. Diese Kette
muß aus Stahl verfertigt sein, und nicht aus Gußeisen, wie es bei dem Modell
1882 des Wagens der Fall war, der Ihnen sicherlich gleich am Eingang in diese
Felsenstadt aufgefallen ist. Nun aber weiter!« -
Jaroslav Hašek, Die Beichte des Hochverräters. Frankfurt am Main 1969
Prägung (2) Alle Augenblicke
stellt sich der Boß ans Fenster und zielt, spuckt und zieht sich zurück. Manchmal
treibt er es den ganzen Tag so, bis er keine Spucke mehr hat. Man muß da an
einen Präzedenzfall erinnern, der ziemlich weit zurückliegt. Eines Tages im
Seminar hatte er am Morgen dem Lateinlehrer Scheiße ins Gesicht gesagt. Komm
her und wiederhole dieses Wort. Nochmals Scheiße. Der Priester betrachtet ihn
ganz ruhig, als sei er gar nicht zornig und sagt, jetzt öffnest du diesen schamlosen
Mund, der dieses Wort gesagt hat. Er öffnet den Mund, der Priester spuckt ihm
kräftig hinein. Seither kann er die Priester nicht mehr ausstehen, nicht einmal
von weitem, und wenn einer durch die Straße geht, spuckt er ihm mit Wollust
auf den Kopf. - (
prot
)
Prägung (3) Noch
ein Buch hat großen Einfluß auf mein damaliges Denken, und damit für immer ausgeübt:
das „Lob der Narrheit" des Erasmus von Rotterdam. Wir hatten davon
eine italienische Ausgabe mit den trockenen Holzschnitten Holbeins. Ich
las das Buch wiederholt mit unbeschreiblicher Lust. Vielleicht verdanke ich
dem Erasmus meine Leidenschaft für Gedanken, die noch keine Gemeinplätze sind
und außerdem die Überzeugung, daß die Menschen zum einen Teil Esel
und zum anderen Canaillen sind. - Giovanni
Papini, Ein fertiger Mensch. München München 1925 (zuerst 1912)
Prägung (4) Ein
Leopard wird gewöhnlich — wenn auch nicht immer
— infoige eines Zufalls, aufgrund eines fehlenden Eckzahns zum Beispiel, zum
Menschenfresser. Aber hat das Tier erst einmal Geschmack an Menschenfleisch
gefiinden, rührt es kein anderes mehr an. - (
chatw
)
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