orträt   Und was war von dieser da zu sagen? Sie war bei sich und allein. Ja, sie war alleine, denn sie lächelte wie jemand, der ganz für sich an etwas Trauriges und Süßes denkt, nicht wie man lächelt, wenn man angesehen wird. Sie war so sehr allein und bei sich, daß sie den ganzen großen Raum still machte, vollkommen still. Sie allein bewohnte ihn, füllte ihn aus, belebte ihn; es hätten viele Menschen hereinkommen können, und alle hätten reden, lachen, sogar singen können - sie wäre immer allein geblieben mit ihrem versunkenen Lächeln und hätte den Raum lebendig gemacht mit ihrem Bildnisblick.

Auch der war einmalig, ihr Blick. Er fiel genau auf mich, zärtlich und fest, aber ohne mich zu sehen. Alle Porträts wissen, daß sie betrachtet werden, und antworten mit den Augen, mit Augen, die uns sehen, die denken und die uns von unserem Eintritt bis zum Verlassen des Zimmers, das sie bewohnen, unablässig verfolgen.

Dieses sah mich nicht, es sah nichts, obwohl sein Blick auf mich gerichtet war. Mir fiel die verwunderliche Verszeile von Baudelaire ein:

Et tes yeux attirants comme ceux d'un portrait.
[Und deine Augen, anziehend wie die eines Porträts.]

Sie zogen mich tatsächlich auf eine unwiderstehliche Weise an, sie erregten in mir eine seltsame, mächtige, neue Unruhe, diese gemalten Augen, die gelebt hatten oder vielleicht noch lebten. Oh, welch unaussprechlicher Zauber, erweichend wie eine streichelnde Brise, verführerisch wie ein Himmel, der violett, rosig und blau in der Dämmerung erstirbt, ein wenig melancholisch wie die heraufziehende Nacht, drang aus diesem dunklen Rahmen und diesen unergründlichen Augen! Diese Augen, diese mit wenigen Pinselstrichen geschaffenen Augen bargen in sich das Geheimnis dessen, was in einem Frauenblick zu sein scheint und nicht ist, aber was erscheinen und in uns die Liebe erwecken kann.   - (nov)

Porträt (2) Wir haben uns bisweilen recht lebhaft gestritten. Ich behauptete, sie sehe da, sie sehe dort etwas falsch. Ich rannte an den Spiegel, von dem sie nichts wissen wollte. Ich fühlte und tastete an meinem Gesicht herum, und ich suchte auf dem des Bildnisses, ob ich durch das Berühren die Entsprechung der Formen fände.

Doch der große Streit zwischen Künstler und Modell brach aus, als das ernste und schwierige Problem der Augen sich stellte. Barbar, der ich war, gab ich ihr auf, beschwor ich sie, in deren Wölbung kleine Höhlungen zu bohren, die der Pupillen schwarze Schächte naturgetreu wiedergeben sollten, und weder die hellen Punkte noch die Faserungen der Regenbogenhaut auszulassen. Ich berief mich auf Houdon, der es verstanden hat, uns den Blick so vieler seiner Modelle zu bewahren. Nichts brachte es ein! Es blieben die eigensinnige Frau unbeugsam und meine Augen ohne Pupillen. - Paul Valéry, Über Kunst. Frankfurt am Main 1959 (BS 53, zuerst ca. 1935)

Porträt (3) Der Maler mußte plötzlich erzittern und erbleichen: ihn starrte hinter einem der Bilderrahmen ein krampfhaft verzerrtes Gesicht an: zwei schreckliche Augen bohrten sich in ihn, als wollten sie ihn auffressen; auf dem Munde stand der schreckliche Befehl geschrieben, zu schweigen. Er wollte vor Entsetzen aufschreien und Nikita rufen, der im Vorzimmer bereits ein lautes Schnarchen ertönen ließ, hielt aber plötzlich inne und fing zu lachen an: die Angst war im Nu gewichen; es .war das neuangeschaffte Porträt, das er inzwischen schon vergessen hatte. Das Mondlicht, das das Zimmer füllte, fiel auf das Bild und verlieh ihm eine seltsame Lebendigkeit. Er fing an, das Bild zu betrachten und zu reinigen. Er tauchte einen Schwamm ins Wasser, fuhr damit einigemal über die Leinwand, wusch damit den Staub und den Schmutz ab, die sich auf dem Bilde festgesetzt hatten, hängte es vor sich an die Wand und mußte sich noch mehr über die ungewöhnliche Arbeit wundern: das ganze Gesicht war fast lebendig, und die Augen blickten ihn so durchdringend an, daß er zuletzt zusammenfuhr, zurückwich und erstaunt ausrief: »Er schaut, er schaut mit Menschenaugen!« - Nikolaj Gogol, Das Porträt. In: Petersburger Erzählungen

Porträt (3) Sie betrachten den Alten? Stellen Sie sich dorthin. Sehen Sie, er blickt einen an, wo immer man auch steht.
Der andere antwortet das sagt man in Reiseführern von vielen Porträts.
Das Fenster geht auf die Felder. Eine Reihe verkümmerter Pflaumenbäume. Nachbardächer aus Ziegeln und Schiefer. Der Wald am Horizont. Aufgefordert von einer abwesenden Stimme. - Robert Pinget, Der Feind. Berlin 1988

Porträt (4) 

Mein Porträt
(Das B. Sckidoni malen sollte)

Nimm' die Strenge des Frosts und der Flamme,
Das Schauern der braunschattigen Nacht,
Die Blässe des Todes und vereine dies alles;
Mach' daraus, wenn Du kannst, ein seltsam Gemisdl;
Nimm' alles Dunkle des Trübsinns,,
Pein und ewige Finsternis,
Was bitter in Liebe, was Versagen im Glück,
Was Scheitern und Elend in der Natur;

Wähl' dazu das Gift der Hydra, die Stürme
Des libyschen Golfes, und vermenge dann
Mit Seufzer und Tränen Deine Farben.
So, Schidoni, wirst Du wahr und getreu
Mein Bild machen. Doch willst Du es
Lebend haben, so gib ihm kein Leben.

- Giambattista Marino, nach: Gustav René Hocke, Manierismus in der Literatur. Sprach-Alchimie und esoterische Kombinationskunst. Reinbek bei Hamburg 1969 (rde 82/83, zuerst 1959)



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